Hunderttausende von Jahren hat die Menschheit gebraucht, um vom Dasein als Jäger und Sammler in die nächste Kulturstufe aufzusteigen und sesshaft zu werden. Keine 5000 Jahre später haben wir nun einen weiteren Schritt hinter uns gebracht (ob es ein Fort- oder ein Rückschritt ist, mögen künftige Generationen beurteilen): Wir sind sesshaft und trotzdem unterwegs.Sogar zwei eigene Wörter haben wir für dieses Zwitter-Dasein gefunden: „Urlaub“ und „Ferien“.
Die magischen Vokabeln öffnen das Tor zu einem Paralleluniversum. Um dorthin zu gelangen, nehmen wir Strapazen und Unannehmlichkeiten auf uns, über die wir uns, würde man uns dazu zwingen, lautstark und zu Recht beschweren würden: Stundenlange Staus am Flughafen und auf den Autobahnen, wie erst zu Pfingsten und bestimmt bald wieder in den Sommerferien, inflationäre Hotelpreise oder, wenn wir der Hotellerie im Wohnmobil ein Schnippchen schlagen, Komforteinbußen, die in jeder Behausung ohne Räder ein veritabler Grund für eine Mietminderung wären.
All das ertragen wir, weil wir seit Goethes Zeiten wissen: Reisen bildet. Und es hilft uns, den eigenen Kompass neu einzunorden. Was daheim naturgegeben schien, wird plötzlich fragwürdig, und worüber man sich noch vor einer Woche tierisch aufgeregt hat, verliert an Bedeutung.
Diese Zeilen erreichen Sie, liebe Leserinnen und Leser, aus einem Paralleluniversum namens Finnland. Keine zweieinhalb Flugstunden von München entfernt (selbst wenn man nicht wie Käpt’n Kirk auf der Enterprise befehlen kann: „Wir gehen auf WARP II“), dringt der Reisende hier in Galaxien vor, die nie ein Münchner zuvor gesehen hat. Eine fremdartige Welt, in der, wo Tempo 100 erlaubt ist, die Mehrheit nur 95 fährt. Wo man um Schlaglöcher achselzuckend einen Bogen fährt, statt über sie zu schimpfen. Eine Welt, in der man in jedem Geschäft, jeder Kneipe freundlich mit Blickkontakt begrüßt wird und wo dem Fremden Hilfe angeboten wird, bevor er darum bittet.
Eine Welt schließlich, in der man in jedem Restaurant Wasser gratis serviert bekommt. Das Naturgesetz, wonach Wasser auf keinen Fall billiger sein darf als Bier, ist in diesem Universum außer Kraft gesetzt. Ein Umstand, der jeden Münchner Gastronomen in Schnappatmung verfallen lassen dürfte – wäre da nicht die Sache mit dem Bier. Das nämlich ist den Finnen zwar genauso lieb wie den Münchnern, aber viel teurer. 5,80 bis 6,50 Euro sind auf den Getränkekarten das Normale – und zwar für homöopathische Mengen von 0,4 oder gar nur 0,3 Liter. Verglichen damit, ist der (zweifellos bessere) Gerstensaft auf der Wiesn ein echtes Schnäppchen.
Bevor ich nun schuld bin, wenn der Preisanstieg zum Oktoberfest 2026 besonders heftig ausfällt, ein Vorschlag zur Güte: Ich könnte damit leben, wenn ihr, liebe Wiesnwirte, euch am finnischen Bierpreisniveau orientiert. Aber nur, wenn es zu jeder Mass gratis einen Liter eisgekühltes Wasser gibt, Gurken- Orangen- oder Zitronenscheibe inklusive. Ich würde dann sogar ganz ohne Münchner Grant freundlich zurückgrüßen.