MÜNCHNER FREIHEIT

Zwölf Minuten träumen

von Redaktion

Einige Dinge im Leben sind berechenbar, manche nicht. Zu den unberechenbaren gehört die Frage, wie lange meine Waschmaschine braucht, wenn in der Anzeige die Zahl 7 steht. Ich habe es schon mal probiert und die Zeit gemessen, die Maschine brauchte noch zwölf Minuten. Ich habe schon versucht, eine andere Systematik jenseits von Minuten zu erkennen, nichts ergab Sinn. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass die Waschmaschine die Zahl in der Anzeige einfach würfelt. Sie soll einfach das Gefühl geben: keine Sorge, es geht voran.

Sehr viel berechenbarer ist, was mir im Urlaub passiert, regelmäßig: Obwohl ich keine Lust darauf habe, stelle ich mir große Fragen zu meinem Leben. Im Alltag denke ich an Pausenbrote und Arbeit, kaum mache ich es mir auf der Sonnenliege gemütlich, kommen dann Fragen, die von Pausenbroten und Arbeit immer verdrängt werden. „Wir sind auch mal dran!“, sagen diese Fragen und drängeln sich nach vorne, kaum, dass der müde Geist mal dolce vita machen will. Beispielsweise verrückte Berufsideen, sozusagen: Ich hätte doch Lokführer werden sollen. Oder genau: Ich werde jetzt Lokführer! Meine Frau wartet schon immer Urlaub für Urlaub auf die Hirngespinste, die jedes Mal in der Sonne Italiens ihren großen Auftritt haben. Womit kommt er diesmal um die Ecke?

Dieses Jahr drängten sich keine so großen Fragen nach vorne und ich frage mich: Warum eigentlich? Hat mein Hirn schon resigniert und traut sich gar nicht, die Lokführer-Idee nochmal nach vorn zu holen?Der Ober-Gedanken-Aussucher hat offenbar den Kopf geschüttelt, als der uralte Lokführer-Gedanke vor ihm stand und ins Bewusstsein rutschen wollte: „Nein, Du nicht mehr. Die Lokführer-Idee denken wir nicht mehr, unser Mann ist schon viel zu alt, um jetzt noch seine Träume zu leben!“ Und traurig verkroch sich der Lokführer-Gedanke irgendwo ins Archiv.

Statt der großen, grundsätzlichen wurden ein paar merkwürdige Gedanken vorgelassen, warum auch immer. Am zweiten Urlaubstag fiel mir zum Beispiel die noch ausstehende Steuererklärung ein – na, danke dafür. Am dritten Tag drängelte sich der jämmerliche Rentenbescheid nach vorne und wie und warum man eigentlich 100 Jahre alt werden sollte. Und am vierten Tag von den Nachbarliegen hinübergeweht die bisher nicht gedachte Frage, wie man eigentlich heißen sollte in sozialen Netzwerken. Bisher hieß ich da wie meine E-Mail-Adresse. Ich übergab mein Handy an eine gute Freundin, die sich damit auskennt. „Mach du.“ Sie benannte mich um in martinzoeller.life. „Warum Englisch?“, fragte ich. „Muss sein im Internet“, sagte sie. Hmm.

Ich freue mich auf den weiteren Sommer. Vielleicht schaut der Lokomotivführer-Gedanke doch nochmal vorbei, herzlich willkommen! Wenn nicht auf der Sonnenliege, dann vielleicht, wenn ich an langen Sommerabenden vor der Waschmaschine sitze und mit Blick auf die „7“ warte, dass bald die zwölf Minuten vorbei sind.lokales@ovb.net

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