Bewegender Moment: Daniela Huber spielt auf ihrer Geige für die Opfer des Unfalls. © Yannick Thedens (2), Marcus Schlaf
Daniela Huber am Tram-Halt Donnersbergerstraße. Am 7. Mai raste hier ein BMW ins Wartehäuschen (kl. Foto).
Die Haltestelle Donnersbergerstraße meidet Daniela Huber (68) immer noch. Am 7. Mai wäre die Geigerin aus München hier fast überfahren worden. Ein schwarzer BMW X5 war ins Wartehäuschen gerast, laut Polizei ein Unfall. Das tonnenschwere Auto schoss zwanzig Zentimeter links an Huber vorbei. Sie überlebte – zwei Frauen (22, 79) starben.
Gestern stand Daniela Huber zu einer Gedenkfeier erstmals wieder am Unfallort. Dabei las sie einen Tagebucheintrag vor, den sie eine Woche nach dem Unfall geschrieben hatte. Er schildert die dramatischen Minuten, in denen die Welt um sie herum explodierte. „Ich stehe rechts neben dem Wartehäuschen, blicke nach links, sehe, wie sich meine Tram aus der Ferne nähert, freue mich, dass die Wartezeit relativ kurz war. Dann verändert sich die Welt im Bruchteil einer Sekunde. Lärm von links, ich blicke mich um. Etwas Großes, Schwarzes schießt auf mich zu, durchpflügt das Wartehäuschen mit hoher Geschwindigkeit. Um zu reagieren, ist die Zeit zu kurz. Mir schießt blitzschnell ein Gedanke durch den Kopf: Das war’s.“
Doch das war es nicht. Daniela Huber hatte unfassbares Glück. Der BMW reißt den Metallrahmen des Wartehäuschens aus dem Boden – der drückt sie und weitere Fahrgäste auf die Gleise. „Ich verspüre einen Schlag in meinen Waden, gehe zu Boden, es regnet Glassplitter und Trümmerteile“, hat Huber ins Tagebuch geschrieben. „Ich finde mich wieder auf dem Trambahngleis. Vor mir steht ein großes, schwarzes Auto. Der Fahrer blickt geradeaus, nicht in meine Richtung. Als ich mich umblicke, sehe ich drei Menschen auf den Trambahnschienen liegen.“
Das Wartehäuschen ist zerstört. Überall Glassplitter, Trümmer. „Die drei Menschen, die nun im Gleis liegen, saßen dort eben noch auf der Bank. Ich steige über Trümmer und Glassplitter zu den Verletzten, möchte irgendwie helfen, fühle mich aber hilflos. Eine ältere Frau liegt vollkommen verkrümmt auf dem Rücken über einem abgerissenen Teil der Wartebank. Sie schreit vor Schmerz, Passanten eilen zu ihr.“ Vor ihr liegt ein Mann halb auf dem Gleis. „Ich habe ihn gefragt, ob er Schmerzen hat. Er sagte ja.“ Daniela Huber sieht in diesem Moment auch die junge chinesische Studentin, die eine Woche später ihren schweren Kopfverletzungen erliegen sollte. „Sie lag ganz verkrümmt da. Und stöhnte.“ Sie spricht sie an – bekommt aber keine Antwort.
Nach wenigen Minuten kommen die ersten Rettungskräfte. „Hektik breitet sich aus. Die Polizeibeamten versuchen, wärmende Rettungsfolien über die Verletzten zu legen. Der Wind bläst sie jedoch immer wieder weg. Ich helfe dabei, eine Folie festzuhalten. Dann endlich sind auch Krankenwagen, Sanitäter und Ärzte da.“ In diesem Moment habe sie zu Gott gebetet – „bitte, lass sie überleben“.
Bei der gestrigen Gedenkfeier am Unfallort forderten Vereine wie der Bund Naturschutz oder Pro Bahn mehr Schutz für Fahrgäste – mit Pollern oder Tempo 20. Daniela Huber möchte da eine Leitplanke hinhaben. „Für Autos gibt es die ja auch.“ Dann nimmt sie ihre Geige in die Hand und spielt einen Satz aus Bachs Partita in d-Moll zum Gedenken an die Toten. Als sie fertig ist, geht sie schnell auf die andere Straßenseite. Weg von der Haltestelle.THOMAS GAUTIER