Es gibt Themen, die vertragen mehr als eine „Münchner Freiheit“. Gipfelkreuze zum Beispiel brauchen zwei – für jeden Balken eine. Der Perspektive des Kreuzes, die uns mein geschätzter Kollege Martin Zöller am Dienstag eröffnet hat, will ich deshalb jene der Bergsteiger zur Seite stellen. Für die gehört es untrennbar zu jeder Tour, die Hand ans Gipfelkreuz zu legen, bevor sie sich verschwitzt, aber glücklich niederlassen, um die Aussicht zu genießen und die Brotzeit aus dem Rucksack zu holen. Manch einer mag sich dabei wie Reinhold Messner fühlen. Das hielte ich für anmaßend, selbst wenn es heuer wieder einmal mit der Zugspitze klappen sollte. Dort, so befürchte ich, wird dann sowieso nicht der Gipfelstürmer aus Südtirol vor meinem inneren Auge erscheinen, sondern der Münchner Fernsehmoderator Robert Lembke. Und er wird mich, wie einst bei „Was bin ich?“, fragen: Welches Kreuzerl hätten S‘ denn gern?
Die Bayerische Zugspitzbahn arbeitet an einer Kopie, weil sie am Original einen eklatanten Mangel ausgemacht hat. Es steht, wie der Name vermuten lässt, auf dem Gipfel. Genauer: auf dem 2962 Meter hohen Ostgipfel von Deutschlands höchstem Berg. Im hochalpinen Gelände können die 50 Meter von der Besucherplattform bis zum Kreuz trotz fest installierter Leiter und Drahtseilsicherung durchaus gefährlich werden – vor allem, wenn man Fipflops trägt, Gegenverkehr herrscht und die alpine Erfahrung sich auf die Fahrt in der Gondelbahn beschränkt. Das Zweitkreuz in der Station soll das heillose Gedränge lindern, das bei schönem Wetter auf diesen 50 Metern herrscht.
Da wird eine Kopie kaum reichen. Warum nicht eine zweite auf dem Zugspitzplatt für die Fahrgäste der Zahnradbahn und zwei weitere drunten an den Parkplätzen am Eibsee und in Hammersbach – mit Panorama-Fototapete fürs Gipfel-Selfie. Und damit der Stau vor dem Eibsee endlich Geschichte ist, könnte man ein virtuelles Zugspitz-Gipfelkreuz ins Netz stellen – zur Anreise auf der Datenautobahn, für jene, die sich längst aus der realen Welt verabschiedet haben.
Das mag wie eine Horrorvision wirken, aber vielleicht ist es ja die Rettung für all jene Gipfel und ihre Kreuze, die bisher vom Massentourismus verschont geblieben sind. Seien wir ehrlich: So schön das Kreuz der Zugspitze mit seinem goldenen Strahlenkranz auch ist: Fürs Gipfelpanorama taugt es nur in einer Blickrichtung. Wer sich umdreht, sieht es neben der gigantischen Gipfelstation zur Deko degradiert. Nicht mehr erhaben, sondern für Geld zu haben. Für jeden, der 75 Euro für die Zugspitzbahn hinblättert. Nicht besser schaut’s drüben auf der Alpspitze aus. Der hat man eine Aussichtplattform aufs Haupt genagelt, damit jene einen Kick kriegen, denen der Berg allein zu fad ist.
Da ist eh nichts mehr zu retten. Baut meinetwegen noch eine überdachte Rolltreppe und eine-Eiffelturm-Kopie im Stil von Las Vegas hinauf. Aber lasst uns all die anderen, noch unverbauten Gipfel. Die mögen zwar weniger hoch sein, wirken aber umso majestätischer, wenn man sie – Schweiß statt Gleis – mit eigener Kraft bezwungen hat. Für die, die das können, ist es erhebend. Allen anderen mag es helfen zu begreifen, wohin wir uns in dem Alles-ist-möglich-Wahn manövriert haben: In eine Welt, in der kein Platz für Träume mehr übrig ist. Ein echter Alp(en)Traum. lokales@ovb.net