Neulich habe ich ihn wieder einmal genau angeschaut, um zu sehen, wie es ihm aktuell geht. Seit November ist er mein Mitbewohner. Eigentlich sollte er längst ausgezogen sein, aber das ist bis jetzt nicht passiert. Er bleibt ruhig und ignoriert meine skeptischen Blicke; und er hat ja Recht. Wenn ich ihn so betrachte, muss ich konstatieren, dass er einfach bella figura macht. Er ist halt nur aus der Zeit gefallen. Ihn selber stört das offensichtlich gar nicht. Er ist gesund und robust.
Ich war ein paar Tage in Oberammergau, weil ich die rasante „Romeo und Julia“-Inszenierung von Christian Stückl und die herrlichen naiven Gemälde von Lisa Kreitmeir im Museum genießen wollte. Der Mitbewohner blieb daheim. Ein kleines bissl hoffte ich, dass ihn meine Abwesenheit grämen und er schwächeln würde. War auch so. Trotzdem brachte ich es nicht übers Herz, seine Schlappheit auszunutzen und ihn vor die Tür zu setzen. Ich weiß ja, dass er nicht gern draußen ist. Also päppelte ich ihn mit ein paar Schluck Wasser auf. Er war schnell wieder fit und tat so, als wäre nichts gewesen: mein Christstern.
Schon beim Kauf im vergangenen Herbst wusste ich, dass es ein Drama werden würde, mich von der Pflanze zu trennen – vor allem, wenn sie munter gedeihen würde. Manche Christsterne werden blitzschnell ein Verreckerl; da ist das Christkind noch gar nicht erschienen. Mein elegant in Orange und Weiß geflammtes Exemplar war freilich beste Qualität und wurde von mir vorschriftsmäßig artgerecht gepflegt. Ich wusste, wie es kommen würde: dass wir zusammenbleiben. Beim Kauf hatte der Gärtner noch meinen diesbezüglichen Stoßseufzer mitleidlos kommentiert: „Ah geh, da duan S gar ned lang rum, den schmeißn S nach Weihachten oafach in d Biotonne.“
Haben Sie auch so Sachen im Haushalt, die Sie nicht weggeben können? Ein unansehnliches Strickwesterl von der Oma, das Sie niemals in den Kleidercontainer stopfen würden. Oder eine „Faust“-Ausgabe der Mutter, obwohl Sie selbst eine wissenschaftlich kommentierte besitzen. Aber da ist eben diese Widmung der Jugendfreundin auf dem Vorsatzblatt. Beide Frauen sind längst gestorben, dennoch, es lebt die letzte Erinnerung an eine innige Beziehung in diesem Band fort. Meine Beziehung zum mittlerweile Sommer-Christstern ist sicher nicht so innig; ihn der Kompostieranlage zu überlassen, schaffe ich trotzdem nicht.