Neun Menschen kamen bei dem Attentat ums Leben. Am OEZ erinnert eine Gedenktafel an die Terror-Opfer. © SIGI JANTZ, dpa
Gisela Kollmann verlor ihren Enkel Guiliano. Ihre Trauer bleibt für immer. © Achim Schmidt
Er war auf dem Weg aus dem McDonald’s, als es geschah: Mit mehreren Schüssen wurde Guiliano Kollmann (damals 19 Jahre alt) am 22. Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum ermordet – vom Attentäter Ali Sonboly. Der rechte Terror, bei dem insgesamt neun Menschen ums Leben kamen, jährt sich heuer zum neunten Mal. Doch die Trauer und das Entsetzen der Angehörigen bleibt.
„Wir tragen die Schmerzen des unermesslichen Verlusts. Unsere Herzen sind zerbrochen. Es ist schon wie ein Trauma. Wir haben nichts anderes im Kopf“, sagt Gisela Kollmann (74). Sie ist die Oma von Guiliano, die ihn seit seinem dritten Lebensjahr und der Scheidung der Eltern bei sich großgezogen hatte – bis zuletzt. „Für mich war er wie der eigene Sohn“, sagt sie. Neben der Trauer sei die Deutung der Tat entscheidend: „Mir ist es sehr wichtig, dass es nicht immer als Amoklauf bezeichnet wird, sondern dass die Menschheit auch weiß, dass es rechter Terror war.“
19 Jahre alt war Guiliano damals. „Er wollte Offset-Drucker werden und hätte im September seine Lehre begonnen.“ Die Familie lebt im Hasenbergl, den Tag seines Todes wird Gisela Kollmann nie vergessen. „Guiliano war Diabetiker. Er musste etwas essen und ist deshalb ins McDonald’s-Restaurant gegangen. Das war damals so ein Treffpunkt für die jüngeren Leute und von uns nicht weit entfernt“ Als Guiliano den Imbiss verließ, wurde er erschossen. „Doch erst um 2.30 Uhr nachts informierte uns die Polizei – obwohl sie es schon Stunden vorher wussten“, sagt die Oma, die nach eigenen Angaben von den Beamten zunächst „verhört wurde“, warum ihr Enkel überhaupt vor Ort gewesen sei. „Wir forderten sie auf, uns jetzt endlich zu sagen, was mit Guiliano ist. Dann schaute einer der Polizisten auf seine Liste und sagte: Ja, er ist dabei.“
Am Abend des 23. Juli konnten sich die Angehörigen verabschieden – „das werde ich nie vergessen“, sagt Gisela Kollmann. „Ich habe meinen Guiliano aus dem Sarg rausgehoben, dann bin ich zusammengebrochen.“
Die Jahre danach waren geprägt von Trauer. „Ich habe 35 Kilo abgenommen, mein Mann wurde herzkrank. Auch psychisch war es schwer. In unserer Familie ist sehr viel durch den Tod von Guiliano kaputtgegangen“, sagt Gisela Kollmann. Unterstützung von Seiten der Stadt hat sie vermisst. „Man muss ehrlich sagen, wir sind von unseren Politikern und der Stadt München fünf Jahre allein gelassen worden.“ Es habe „keinen Zuspruch“ gegeben, nur einmal im Jahr eine Einladung aus dem Rathaus. „Und dann hat es geheißen, das ist eine städtische Veranstaltung.“
Viele Angehörige seien damit unzufrieden gewesen und hätten eine eigene Initiative gegründet. Der Mörder, sagt Kollmann, habe aus Menschenverachtung und Rassismus gehandelt. „Deswegen ist es auch die Verantwortung dieser Gesellschaft, dass neun Menschen am OEZ sterben mussten. Und es ist die Verantwortung dieser Gesellschaft, dass nicht noch weitere Menschen durch rechten Terror getötet werden. Dafür werde ich kämpfen, solange ich kann.“
Guiliano, das ist seiner Oma wichtig, soll in guter Erinnerung bleiben. „Ich möchte, dass an diesem Ort, wo mein Guiliano gestorben ist, keine Stühle rumstehen und die Menschen drauf rumtrampeln. Dort sollen Blumen und ein Bild von ihm stehen.“ Ihr Enkel sei ein Familienmensch gewesen. „Mir fehlen sein Herz, seine Umarmungen. Mir fehlt, wenn er mir in die Augen schaut. Das sind Sachen, die mich ganz, ganz schwer belasten.“
„Erinnerung kostet Kraft“, sagt sie. „Solidarität und Unterstützung geben Kraft. Wir brauchen Menschen, die uns zuhören, die an unserer Seite stehen, die mit uns gemeinsam trauern und die Erinnerung an unsere Liebsten weitertragen.“ ANDREAS THIEME
Gedenkveranstaltung
Zum 9. Jahrestag lädt die Stadt München am heutigen Dienstag ab 17.30 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung vor dem Denkmal an der Hanauer Straße 77 ein. Es sprechen Oberbürgermeister Dieter Reiter sowie Hinterbliebene des Münchner Attentats und anderer rassistischer Anschläge in Deutschland, darunter Halle und Hanau.