Die Eisbachwelle hat OB Dieter Reiter wieder freigegeben. Die Surfer freut’s.
OB Dieter Reiter im Gespräch mit den Redakteuren Uli Heichele (li.) und Sascha Karowski. © Marcus Schlaf (2)
Darf‘s noch ein Glas Orangensaft sein? Ein bisschen sauer und ein bisschen süß? Passt ja zur Lage: Es gibt ja schöne und schwierige Dinge zu besprechen. Unsere Zeitung trifft Oberbürgermeister Dieter Reiter (67, SPD) zum Politik-Picknick vor dem Sommerurlaub. Wir wollen reden über das Leben in der Stadt, über die Genesung des OB nach der Schulter-Operation – und über Münchens Finanzprobleme.
Sie tragen keine Schlaufe mehr. Ist die Schulter wieder in Ordnung?
Passt schon so weit – bis alles wieder ganz ok ist, wird es noch etwas dauern. Ich mache regelmäßig Physiotherapie, was nicht immer nur ein Vergnügen ist. Das hat manchmal im Gegenteil schon masochistische Züge: Du bezahlst jemanden, damit er dir Schmerzen zufügt. Aber ganz klar: Es hilft! Ich habe das Ziel gesetzt, bis zum Wiesn-Anstich muss ich wieder schlagkräftig sein.
Nahezu jede Partei hat schon einen OB-Kandidaten. Warum ausgerechnet die SPD noch nicht? Haben Sie doch keine Lust mehr?
(lacht) Ja, das würde manche sicher freuen. Aber da muss ich sie enttäuschen. Der Plan steht schon seit Langem. Ich habe mehrfach klar gesagt, dass ich das machen werde. Und ich gehe davon aus, dass meine Partei mich auch nominieren wird. Darüber mache ich mir keine Gedanken, sondern eher darüber, was ich meiner Partei an so einem Abend sage.
Und was wäre das?
Wir müssen uns fragen, wie erreichen wir die Menschen wieder? Warum ist die SPD in Vergessenheit geraten? Warum kommen Parteien oft besser an, wenn sie polarisieren und kategorisch für oder gegen etwas sind. Beispielsweise ist es einfacher für Parteien zu sagen, dass sie für oder gegen Radwege sind. Wir als SPD machen pragmatische Politik. An der einen Stelle macht ein Radweg Sinn, an der anderen nicht oder ist einfach viel zu teuer. Das ist die schwierigste aller denkbaren Varianten. Wir müssen Kompromisse suchen. Das gilt auch für den Wohnungsbau, den ÖPNV oder die Mieten. Aber Kompromisspolitik, Pragmatismus, lässt sich oft schwerer verkaufen.
Wo sehen Sie München in fünf Jahren?
Es geht nicht darum, Unterschiede zu definieren. Ich bin jeden Tag in der Stadt unterwegs, da merke ich, dass die Menschen gar keine großen Visionen haben wollen. Die wollen wissen, wie kommt mein Kind sicher in die Schule, weil auf der Straße zum Beispiel kein Zebrastreifen ist und die Verwaltung sagt, nach Paragraf XY gehört da keiner hin. Dann entscheide ich als Chef der Verwaltung, dass da doch einer hinkommt. Und solche pragmatischen Entscheidungen treffe ich fast jeden Tag. Auch bei den Surfern an der Eisbachwelle habe ich keine Vision gebraucht. Ich habe einfach eine Lösung finden müssen und die umgesetzt. Aber klar gibt es Ziele.
Zum Beispiel?
Ich arbeite dafür, dass sich die Menschen diese Stadt leisten können. Das heißt, wir müssen weiter dafür sorgen, dass es preiswerten Wohnraum gibt. Für die Älteren, aber auch für Familien und alle diejenigen, die unsere Stadt am Laufen halten. Der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland liegt bei rund 4000 Euro. Davon kannst du in München natürlich keine großen Sprünge machen. Es geht mir auch um die Menschen, die 5000 oder 6000 Euro brutto verdienen und eine Familie ernähren müssen. Da fehlt mir bei einigen Programmen im Wohnungsbau die Realitätsnähe. Da muss auch die SPD ihren Blickwinkel ändern. Ich bin da in der Analyse bei meinem Genossen Stephan Weil. Der hat schonungslos gesagt, dass sich die SPD lieber um die kümmert, die nicht arbeiten, als um die, die viel arbeiten jeden Tag. Und das muss aufhören.
Stichwort Eisbachwelle. Die haben Sie wieder freigegeben, wie wir hören, entgegen dem Rat Ihrer Juristen.
Es ist manchmal durchaus sinnvoll, den eigenen Verstand einzuschalten. Wenn manche Juristen mir jetzt sagen, wenn da wieder was passiert, bist du vielleicht schuld, dann frage ich schon ernsthaft, was macht der Bayerische Ministerpräsident mit seinen Seen? Was macht er mit seinen Bergen? Ist er da auch schuld, wenn er die offen lässt? Das war jetzt in 23 Jahren der erste tödliche Unfall an der Eisbachwelle. Das ist unsagbar tragisch. Aber ich sehe, dass alle verstanden haben, dass man ein bisschen aufpassen und die Regeln beachten muss, die wir angepasst haben.
Die Stadt München hat erneut einen Rekordhaushalt – mit fast 9,5 Milliarden Euro Volumen. Dennoch bleibt kaum Geld übrig.
Der Haushalt ist tatsächlich so schlecht, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Wir haben als Stadt auch sehr viele Jahre gut gelebt. Bei den Investitionen will ich schon auch sagen, wir haben in meiner ersten Amtsperiode mit der CSU zusammen regiert. Und wir haben viele sündteure Projekte auf den Weg gebracht, wie eine U-Bahn nach Pasing. Ganz viele von diesen Investitionen hat die CSU mitbeschlossen oder sogar initiiert. Da müssen sich alle drei großen Fraktionen an die Nase fassen. Und im laufenden Haushalt haben wir in den letzten 11 Jahren 10 000 Stellen geschaffen, weil immer gesagt wurde, wir brauchen mehr Leute. Aber das ist natürlich eine schlechte Situation, auch für den neuen Stadtrat. Jetzt kommt es zur Königsdisziplin, nämlich Prioritäten setzen. Und das ist etwas, was ich noch nicht so richtig wahrnehme, dass das bei allen Fraktionen auch angekommen ist.
Welche Großprojekte sind denn überhaupt noch stemmbar, die jetzt nicht schon in der Umsetzung sind?
Das haben Sie richtig gesagt. Begonnene Projekte müssen wir natürlich fortsetzen und fertigstellen. Viele Projekte, die beispielsweise die Verkehrsgesellschaft noch vor der Brust hat, Betriebshöfe beispielsweise, werden schwierig zu stemmen sein, vor allem, wenn es keine festen und zugesicherten finanziellen Förderungen des Bundes gibt. Wir haben Planungen für eine U9. Die Trasse würde acht oder neun Milliarden kosten. Davon können wir als Stadt vielleicht eine tragen. Das heißt: Es besteht im Grunde keine große Möglichkeit mehr für neue Projekte.
Droht München ein Stillstand?
Wenn ich daran denke, was mir die Bürger oft sagen, hätten die meisten vermutlich gar nichts gegen ein wenig Stillstand. Wenn wir Wohnungen bauen, wenn wir Kitas bauen, wenn wir Schulen bauen, ist ja nun völlig egal, was du baust. Die örtlich Betroffenen wollen das nie. Man könnte meinen, den Münchnern reicht es. Und die Nagelprobe werden wir haben, wenn es zum Bürgerentscheid für die Olympischen Spiele kommt. Stillstand werden wir aber nicht haben, solange die großen und kleinen Unternehmen bei uns in der Stadt bleiben, solange die Unis hier sind, solange die Wissenschaft in München forscht, Hightech-Unternehmen darum buhlen, sich bei uns anzusiedeln, obwohl die alles machen, aber keine aktive Anwerbepolitik. Deswegen mache ich mir da keine Sorgen, dass es Stillstand geben könnte. Aber nur schneller – höher – weiter ist definitiv auch nicht Ziel meiner Politik!
U. HEICHELE, S. KAROWSKI