Wenn man früher erzählen wollte, wie unglaublich teuer das Reisen ist, dann musste Venedig herhalten. So wie das Saarland bei jeder Brandkatastrophe zum Flächenvergleich herangezogen wurde, sprach man von Venedig, wenn es um unverschämte Preise ging. Irgendwann wusste man als Zuhörer gar nicht mehr, ob der Espresso auf dem Markusplatz tatsächlich ein Getränk war. Es gab Ähnlichkeiten zum Ungeheuer von Loch Ness: Man hatte Angst davor, redete empört darüber – aber wirklich begegnet war man ihm nicht. Denn – kurze Testfrage: Wie viele Menschen kennen Sie, die tatsächlich einen Espresso auf dem Markusplatz getrunken haben?
Meistens kam die Venedig-Empörung mit der Bemerkung daher, dass es daheim eben doch am schönsten sei. Gemeint war eigentlich: am billigsten. Denn im Direktvergleich der Ortskerne sprach dann doch sehr wenig für die oberbayerische Kleinstadt, in der man wohnte: in Venedig der Markusplatz mit Campanile, Dom und Dogenpalast, daheim eine Parkgarage mit Fußgängerzone auf dem Kopf. Aber im Supermarkt am Eck gibt es halt diesen Getränkeautomaten, gleich neben der Pfandrückgabe. Dort kostet der Espresso einen Euro. Genau deshalb ist es daheim so schön.
Ich bin trotzdem immer wieder gern nach Venedig gefahren. Zuletzt war ich im Frühling dort, und dabei habe eine interessante Feststellung gemacht. Achtung, jetzt müssen die Münchner ganz stark sein! Im Vergleich zu München sind die Preise in Venedig gar nicht mehr schlimm. Ein Glas mittelmäßiger Hauswein (0,2l) kostet innerhalb des Mittleren Rings gerne mal zehn Euro. Da schluckt der Gondoliere – oder eben nicht, weil er sich das teure Getränk nicht leisten will. Mit dem Bier verhält es sich ähnlich. Die Halbe am Marienplatz ist der neue Espresso am Markusplatz. Der Münchner braucht gar nicht mehr zu verreisen, um in die Touristenfalle zu tappen. Es reicht, wenn er vor der Haustüre seinem Alltag nachgeht. Schon klar: Miete, Energie und Personal treiben die Preise in der Münchner Innenstadt in die Höhe. Aber gleich so?
Dem Münchner stellt sich eine neue Frage: Wo ist es denn jetzt am schönsten, wenn man daheim nur über den Wirtshaustisch gezogen wird? – Ich recherchiere das gerade, und zwar auf meinem Balkon, wo mich der Espresso schätzungsweise 20 Cent kostet und der großartige Wein aus dem Veneto 8 Euro – pro Flasche.