Der Siebenmachen Atelierladen.
Das Haus am Ostfriedhof.
Schwärmt für die Kaskadenbrunnen auf dem Ostfriedhof: Arndt Schulte Döinghaus, Chef der Münchner Friedhofsentwicklung im Gesundheitsreferat. © Marcus Schlaf (2), Ick-Dietl, Google
Am Eingang zum Münchner Ostfriedhof: Weder hört noch sieht man das Wasser – und doch spürt man es schon von Weitem. Denn plötzlich fühlt sich die Umgebung irgendwie ein paar Grad kühler an. Friedhöfe gelten durch ihre großen Bäume ja an sich schon als Klimaoasen, beim Ostfriedhof wird das noch mal verstärkt: durch zwei prachtvolle Kaskadenbrunnen.
„Das ist kein Element, das man auf einem Friedhof so vermutet“, schwärmt Arndt Schulte Döinghaus, Chef der Münchner Friedhofsentwicklung im Gesundheitsreferat. Schon bei der Entstehung waren die Brunnen höchst ungewöhnlich. „Damals waren solche Kaskaden nur in Schlossanlagen zu finden.“ Doch der berühmte Stadtbaumeister Hans Grässel wollte um 1900 das bis dato dem Adel zugedachte Architekturelement auch für die Münchner Bürger erlebbar machen. Er nutzte den Höhensprung im Gelände zwischen dem Westteil und dem tiefer liegenden Ostteil, um eine terrassenartige Anlage mit Wasserbecken, Balustraden, Treppen und Steinbänken anzulegen. Zur Wahrung der Symmetrie entstand eine nördliche und eine südliche Kaskadenanlage. „Ein absolutes Novum auf einem Friedhof“, erklärt Schulte Döinghaus.
Der studierte Landschaftsarchitekt weist auf eine weitere Besonderheit hin: „Wer am unteren Ende der Kaskaden sitzt, der sieht keine Gräber.“ Außerdem sind alle Störgeräusche von außen – von Autos und der nahen S-Bahn – überdeckt. Man hört nur das gleichmäßige Plätschern und Rauschen des Wassers. „Ein eigener Nucleus, der außerhalb des Ganzen liegt“, beschreibt es der 46-Jährige fasziniert. Ein Ort der Erholung, den man völlig unabhängig vom Friedhof nutzen kann. „Hier kann man durchschnaufen und abschalten.“
Er sehe sehr oft Mütter mit Kinderwagen – „die Kleinen schlafen bei dem Rauschen schnell ein“. Spazieren gehen, die Natur beobachten, zusehen, wie Libellen über die Wasserbecken fliegen. Auch dazu seien die Münchner Friedhöfe da. „Das sind nicht nur reine Bestattungsflächen, sie können auch zur Naherholung genutzt werden.“ Noch dazu völlig kostenlos. Aber mit Respekt. Kein Joggen, kein Radfahren, kein Picknick, kein Baden in den Wasserbecken auf dem 30 Hektar großen Ostfriedhof mit seinen 34 000 Grabstätten. „Das ist kein Freibad, das ist ein Friedhof!“
Schulte Döinghaus ist glücklich, dass die Stadt vor mehr als zehn Jahren beschlossen hat, die monumentale Brunnenanlage wiederherzustellen. Fast 2,5 Millionen Euro hat die Sanierung gekostet. Viel Geld für einen Brunnen. Doch es handelt sich um ein einzigartiges Kulturdenkmal. „Es gibt keine weitere Anlage dieser Art in ganz Deutschland.“ Allerdings hatte sie im Zweiten Weltkrieg schwere Bombentreffer erlitten. Danach wurden die Wasserbecken entfernt und es wuchs buchstäblich Gras über die Kaskaden. Die Brunnenanlage geriet fast in Vergessenheit.
Doch es gab Menschen in München, die sich für den Erhalt einsetzten. Alle noch vorhandenen Bauteile wurden vorsichtig aus dem Gefüge herausgelöst, gereinigt und restauriert. „Wir haben jeden Stein inventarisiert“, sagt Schulte Döinghaus. Es sollte möglichst viel Originalsubstanz erhalten werden. An einigen Stellen sieht man heute, wo fehlende Teile ergänzt wurden. In Archiven wurden die Originalpläne recherchiert, man spürte der früheren Substanz nach. Die Becken wurden abgebrochen und neue Fundamente gegossen. Eine höchst aufwendige Arbeit, erzählt der Chef der Friedhofsentwicklung. „Heute wäre das kaum mehr so möglich.“
2017 dann der große Tag der Wiedereröffnung. Wenn man erlebe, wie die Menschen mit diesem Kleinod umgehen würden, sei das alle Mühen und Geld wert gewesen, findet Schulte Döinghaus. In den immer heißer werdenden Sommern hätten viele Menschen die Friedhöfe als wohltuende Orte entdeckt. Beim Ostfriedhof wegen des Wassers erst recht.CARMEN ICK-DIETL