MÜNCHNER FREIHEIT

Die Träume des September-Flaneurs

von Redaktion

Der wirkliche Wonnemonat im Münchner Jahreslauf ist der September. In der ersten Tagen ist die Stadt angenehm leer. Die Münchner sind verreist und lassen ihre Kinder bei der Ernte helfen, wie es bei bayerischen Schülern üblich ist – zumindest in den Diskussionen darüber, warum der Freistaat immer die spätesten Sommerferientermine bekommt.

Die letzten verbliebenen Münchner wirken entspannt. Manche tragen eine bereits erworbene Restbräune aus der Toskana zu Markte, also über den Viktualienmarkt. Im Glockenbachviertel gibt es urplötzlich sogar mal Parkplätze. Und man braucht auch keine Tischreservierung mehr, will man die zweite Hälfte seines Urlaubsgeldes in ein Achterl Wein in der Innenstadt verwandeln.

Am Horizont winkt schon das Oktoberfest. Die Vorfreunde ist groß. Zwei Wochen lange Leine! Die Münchner geben sich dann so, wie sie gern immer wären, würden sie sich das nur erlauben: geselliger, spürbar weniger gehemmt und auch sich selbst gegenüber nicht ganz so streng. Achtsam leben und Kalorien zählen kann man ab Oktober wieder. Zur Wiesnzeit wird Intervallfasten gefastet.

Auch finanziell ist die Wiesn eine Sondersituation: Wer sich im August noch über die Getränkepreise in der Innenstadt beschwert hat, zahlt Ende September klaglos deutlich mehr auf der Theresienwiese. Das versteht keiner, ist aber eine Münchner Tradition.

Wer sich für Stadtplanung interessiert, findet die Wochenenden im September besonders interessant. Regelmäßig werden Münchner Straßen gesperrt, um dort Feste zu feiern, erst das Isarinselfest, eine Woche später den „Corso Leopold“. Der Münchner flaniert durch seine Stadt und träumt. So muss das früher gewesen sein in der Steinsdorfstraße: In der milden Sonne des beginnenden Herbsts spielen Kinder vor der Lukaskirche. Und was kaum ein Münchner weiß: Die Isar plätschert! Man kann sie während des Isarinselfests hören, es sei denn, in der Steinsdorfstraße steht gerade ein Gitarrensolo an, womöglich sogar gespielt vom Oberbürgermeister höchstpersönlich. Auch die Leopoldstraße wird ohne Autos zu dem Boulevard, als der sie geplant wurde. Der September-Flaneur könnte sich mit der Idee anfreunden, stets mittig auf das Siegestor zuzugehen.

Dann aber biegt er ums Eck und versteht. Keine Autos in der Leopoldstraße bedeutet leider auch: doppelt so viele Autos in den Parallelstraßen. Und wenn das Lehel die Isarinseln feiert, dann stöhnt Haidhausen.

Das Münchner September-Idyll ist relativ. Auch die Restbräune aus der Toskana wird verblassen. Und die Mitmünchner werden wieder nerven, und zwar ab dem letzten Wiesnsonntag um exakt 23.01 Uhr. Der November schließlich wird wieder so heiter wie „Das Schweigen der Lämmer“.

Es ist ein Graus. Die gute Nachricht allerdings lautet: Auch das Jahr 2026 wird uns einen September bescheren.

Artikel 1 von 11