Manchmal, ich geb’s zu, werde ich ein bisserl neidisch, wenn Freunde zu Besuch kommen. Vor allem, wenn sie über Nacht bleiben. Für die Gäste backt die beste Ehefrau von allen einen ganz besonderen Kuchen, und sie kauft all jene Köstlichkeiten ein, die es sonst nur selten gibt, weil ich – ein unschlagbares Argument – doch dringend abnehmen will. Meiner Vorfreude dagegen bleibt wenig Raum zur Entfaltung, denn es gibt viel zu tun. Nachdrücklich erinnert die werdende Gastgeberin mich daran, dass ich die rinnende Toilettenspülung doch schon vor zwei Wochen reparieren wollte. Und den wuchernden Efeu zurückschneiden. Und die Schachteln, die im Keller vor dem Schrank stehen, endlich wieder dort einsortieren, wo ich sie herausgenommen habe. Und, und, und. Es ist wohl ein Naturgesetz: Bevor man einen gemütlichen Abend mit Freunden verbringen kann, wird’s ungemütlich, weil man sein Heim vorzubereiten sucht. Daher kommt das Wort Heimsuchung. Und wenn die Gäste da sind, dreht sich naturgemäß alles um sie. Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es wäre, einfach zu tauschen.
Und das bezieht sich nicht nur aufs traute Heim. Auch in München genießen die Massen, die Jahr für Jahr zum Oktoberfest anreisen, Privilegien, die ich auch gerne hätte. Schon jetzt fällt auf: Die Stadt putzt sich heraus. Straßenbaustellen, die mich monatelang geärgert haben, werden eilig beendet oder sogar vorübergehend abgeräumt. S-Bahn und MVG rüsten sich für erwarteten Ansturm und werden wieder Servicepersonal (!) auf die Bahnsteige schicken. Die Straßenreinigung wird Sonderschichten fahren, die so mancher Einwohner in der Innenstadt in den restlichen 50 Wochen des Jahres schmerzlich vermisst. Mobilfunkprovider scheuen weder Kosten noch Mühen, um ein Funknetz über die Theresienwiese zu spannen, in dem es garantiert keine Löcher gibt wie im Herzogpark. Und für die Gäste macht man plötzlich sogar möglich, worauf die Münchnerinnen und Münchner schon gar nicht mehr zu hoffen wagten: ein schnell, einfach und ohne Anmeldung zu kaufendes Tagesticket. Fehlt nur noch, dass die Stadt Besuchern aus Deutschland anbietet, sie könnten hier mal eben unkompliziert ihr Auto um- oder anmelden – nur für den Fall, dass das in ihrer Heimatstadt mit lästigen Wartezeiten verbunden sein sollte.
Wie gesagt: Neidisch könnt‘ man werden – gäbe es da nicht die Schattenseiten. Die Gäste erleben eine Stadt, die voll ist wie Venedig, wo die Hotels teuer sind wie in Genf und New York und wo das Münchnerischste, das sie zu Gesicht bekommen, Billigdirndl aus Fernost und die ewig saufende Riesenkatze vor dem Löwenbräuzelt sind.
Wir Münchner dagegen wissen: Das geht vorbei. Und wenn wieder so etwas wie Normalität einkehrt im Millionendorf, werden wir losziehen und entdecken, wie schön diese Stadt trotz aller Unzulänglichkeiten und Unkenrufe immer noch ist. Auch ich werde das tun. Zuvor jedoch haben sich daheim alte Freunde zu Besuch angesagt. Ich freu’ mich schon.