Mit Gottes Segen in die Grube

von Redaktion

Florian Wagner betreut als Seelsorger die Bautrupps an der 2. Stammstrecke

„Ich bin für euch da“: Diese Botschaft will Florian Wagner den Arbeitern vermitteln. © dpa/Rumpf

Er trägt kein liturgisches Gewand, sondern Bauhelm, Warnweste und Sicherheitsschuhe: Florian Wagner ist als Betriebsseelsorger der Erzdiözese München und Freising für die 2. Stammstrecke zuständig. In bis zu 45 Metern Tiefe wird auf der Großbaustelle gewerkelt. „Da ist die Luft schon eine andere“, sagt der 44-Jährige. Seine Botschaft für die Arbeiter, die aus unterschiedlichsten Ländern und Glaubensrichtungen kommen : „Ich bin da!“

Mit welchen Problemen kommen die Arbeiter zu Ihnen, Herr Wagner?

Jeder bringt ja sein Leben mit auf die Baustelle. Deshalb haben die Themen oft gar nicht unbedingt etwas mit der Arbeit zu tun. Da kann es auch mal um Eheprobleme gehen oder um die Sehnsucht nach dem Heimatland. Oder man stellt sich die Frage: Passt die Arbeit überhaupt noch für mich? Ich signalisiere den Arbeitern, dass ich dafür zuständig bin, dass es Ihnen gut geht. Ich bin sozusagen ihr Wohlfühlmanager. Ich kontrolliere niemanden und bei mir gibt es auch keinen Zeitdruck. Ich bin nicht von der Bahn oder von der Baufirma. Bei mir darf man sich auch mal beklagen. Natürlich stehen ich mit allen beteiligten Firmen in gutem Austausch und kann bei Bedarf auch weitere Ansprechpartner vermitteln.

Unter Tage ist vermutlich wenig Zeit für ausführliche Gespräche?

Nein, ich will die Männer schließlich nicht bei der Arbeit stören. Ich habe ein Büro in der Arnulfstraße und eins in der Richelstraße, in denen ich zu erreichen bin. Manche tun sich schwer, zu mir zu kommen. Viele der Gespräche finden dann auch am Telefon statt. Aber natürlich gehe ich auch auf die Baustellen. Ich bewundere die Leute, die täglich unter die Erde oder auf einen Kran steigen. Da wirken ganz andere Kräfte auf einen. Da muss man wirklich hochkonzentriert bei der Sache sein. Ich nutze die Pausen für Kontakte. Und es gibt auch immer wieder Feiern, bei denen man ins Gespräch kommt.

Zum Beispiel am 4. Dezember zu Ehren der Heiligen Barbara, die als Schutzpatronin über die Bergleute wacht.

Auf der Baustelle am Hauptbahnhof begrüßt einen die Heilige Barbara als Erste, wenn man das Baustellenzelt betritt. Am Marienhof hat eine Barbara-Statue ihren festen Platz unter Tage. Jeder hat auf dem Weg nach unten irgendwann einmal seinen Blick darauf. Und ich glaube auch – unabhängig von der jeweiligen Religion – ist es den Arbeitern wichtig, dass sie da unten präsent ist.

Als am Marienhof mit dem Tunnelbau begonnen wurde, haben Sie in einer Andacht das Baufeld gesegnet. Erreicht man damit auch Arbeiter anderer Religionen?

Ich bin für jeden da und dementsprechend für alle Religionen offen. Natürlich sind unsere Feiern christlich geprägt, aber letztlich geht es dabei auch um Zusammenhalt. Auf der Baustelle muss man an einem Strang ziehen. Man achtet aufeinander, das merke ich immer wieder. Und sie dürfen sich dann auch mal selber dafür feiern, was sie täglich leisten. Im April haben wir zum Beispiel den Workers Memorial Day begangen. Da waren wirklich viele Mitarbeiter unterschiedlichster Nationen da. Dieser Teamgeist hat mich sehr gefreut.

Sie sind kein Pfarrer, sondern Gemeindereferent mit Familie. Macht Sie das zu einem kompetenteren Ansprechpartner für alltägliche Nöte?

Ich habe auch mal eine Lehre als Industriekaufmann gemacht und zufällig sogar in einer Baufirma gearbeitet. Daher weiß ich auch ein bisschen, wie es auf dem Bau so zugeht (lacht). Glaubwürdigkeit ist in meinem Beruf das A und O. Man muss authentisch sein. Natürlich hilft es, wenn man persönliche Erfahrungen aus dem Familien- oder Berufsleben einbringen kann.

Und wie sind Sie letztlich zur Seelsorge gekommen?

Ich habe mich in meiner Heimatpfarrei in Mickhausen in der Nähe von Augsburg schon immer kirchlich engagiert. Ich war Ministrant, war im Pfarrgemeinderat, habe Jugendgruppen geleitet. Ich habe das sehr gerne gemacht und habe mir damals schon überlegt: Wie willst du weitermachen? Und so hat sich dann die kirchliche Laufbahn entwickelt. Ich habe mit der Kirche immer positive Erfahrungen gemacht. Das hat mich getragen.

So geht es nicht allen Menschen. Die beiden christlichen Kirchen in Deutschland verzeichnen seit Jahren viele Austritte.

Ich glaube, dass grundsätzlich jeder ein gewisses Bedürfnis nach Spiritualität hat, nach Antworten auf die Fragen des Lebens. Daran hat sich nichts geändert. Verändert hat sich die Art, wie man sich die Antworten sucht. Ob auf Social Media, in der Ernährung oder beim Thema Selbstoptimierung: Es gibt so viele Ersatzreligionen. Ein Kollege sagte mal, dass die Kirche vielleicht mal ein Fitnessstudio anbieten müsste (lacht). Aber im Ernst: Natürlich haben wir hausgemachte Probleme. Es gab und gibt Gründe für die Austritte Wir müssen vermitteln, dass wir Antworten bieten können. Seelsorge muss direkt dort stattfinden, wo die Menschen sind. Am Münchner Hauptbahnhof zum Beispiel kümmern sich seit Kurzem zwei Seelsorger – ein Diakon und ein Priester – um Reisende und das Bahnpersonal.

Sie bieten auf der Baustelle nicht nur Gespräche, sondern auch mal kleine Aufmerksamkeiten an.

Ich versuche, immer wieder etwas vorbeizubringen. Zum Beispiel ein Päckchen Traubenzucker mit meiner Telefonnummer. Dahinter steckt die Botschaft: Ich bin da, um dir Kraft zu geben. In der Adventszeit war ich als Nikolaus unterwegs.

Und die Barbarafeier wird es auch wieder geben?

Auf jeden Fall! Die Heilige Barbara hat uns bisher vor schweren Unfällen auf der Baustelle bewahrt.

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