MÜNCHNER FREIHEIT

Wiesntrikots für alle

von Redaktion

Dass am Samstag das Oktoberfest beginnt, dürfte niemanden überraschen: Im Hörfunk wird seit einigen Tagen plötzlich wieder „bissl“ statt „bisschen“ gesagt. Die „Frozen-Joghurt“-Läden haben umgesattelt und verleihen jetzt Trachten. Und selbst seriöse Apotheken ersetzten vergangene Woche die herbstlichen Deko-Pilze in ihrem Schaufenster durch Masskrüge und Kopfwehtabletten. Wiesn wird’s! Der Wahnsinn schwappt durch die Stadt wie eine Tsunamiwelle. Erst türmte er sich auf, höher und höher. Und jetzt füllt er auch den letzten Winkel mit Menschen, die dabei sein wollen – oder mit Menschen, die daran verdienen wollen, dass die anderen dabei sein wollen.

Besonders engagiert beim Geldverdienen ist mal wieder die Fußballindustrie. Da aber die Münchner Vereine – zumindest meines Wissens – in Sachen Korruption noch einiges von der Chefetage der FIFA lernen müssen, sehen sie sich gezwungen, auf anderen Wegen Geld einzunehmen. Deshalb gibt es seit einigen Jahren sogenannte Wiesntrikots. Sportleiberl mit Trachtenzitaten – da wächst zusammen, was gar nicht zusammengehört. Hier der Leistungssport mit gesunder Ernährung und hartem Training – dort die Menschenmasse, die sich nur langsam über die Theresienwiese schiebt, irgendwo zwischen starkem Bier, üppig Fett und viel Zuckerwatte. Genau genommen ist die Wiesn das Gegenteil von Leistungssport, außer für die Kellnerinnen. Das Konzept „Wiesntrikot“ könnte als krasse Themaverfehlung abgetan werden. Aber wie bei der legendären „Pizza Oktoberfest“ (mit Weißwurst, süßem Senf und roten Zwiebeln als Belag) gilt auch für das Wiesntrikot: Irgendwer kauft den Schmarrn schon.

Spannend wäre es, würden sich andere Berufsfelder den Fußball zum Vorbild nehmen und ihre Dienstkleidung oktoberfestizieren. Wiesntrikots für alle! Warum denn nicht? – Der Kaminkehrer lässt zwei Wochen lang seinen Zylinder zu Hause und kommt mit einem tanzenden Hendl-Hut. Die Müllwerker nähen sich Hirschhornknöpfe an ihre leuchtend-orangen Latzhosen. Und in der Müllerstraße, in der sich mittlerweile alle fünf Meter eine stylishe Kaffeebar findet, bekommen die strahlenden Lastenrad-Muttis ihren Espresso ausschließlich in Masskrügen serviert. Das sähe zwar alles furchtbar albern aus – aber ehrlich gesagt auch nicht schlimmer als so manches Outfit, das einem in den kommenden zwei Wochen im Schatten der Bavaria begegnen wird. Auf eine friedliche Wiesn!

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