Bärbel Draxinger (Foto li.) wohnt in der „Sorgenden Hausgemeinschaft“. Das Foto rechts zeigt Erna Öttl (li.). Sie wohnt auch in so einem Haus, Tür an Tür mit Mirna Schnurrer.
Darauf ein zünftiges „Prost!“: Die Einladung ins Festzelt ist für Erna Öttl (li.) und Bärbel Draxinger ein Highlight. © Schmidt (2), Jantz (2)
Bärbel Draxinger (77) schwärmt von der Wiesn. Als Madl fuhr sie mit einer Freundin mal vom heimischen Rottal nach München – aufs Oktoberfest. Das ist 60 Jahre her, aber sie erinnert sich genau: „Wir haben dort zwei US-amerikanische GIs kennengelernt. Sie haben uns Zuckerwatte spendiert und alles fahren lassen, was wir wollten.“ Bevor die Fräuleins wieder heim mussten, ging’s noch ins Kino. „Ich habe mich gefühlt wie eine Prinzessin“, sagt Draxinger. „Dieser Tag war ein Geschenk, genau wie der heutige.“
In der Tat. Denn Draxinger ist eine von 1150 Münchnern, die die Wiesn-Wirte diese Woche auf die Theresienwiese eingeladen haben. Im Armbrustschützen, Augustiner, Hacker, Marstall, Schottenhamel, Schützen, in der Fischer Vroni und der Bräurosl wurde bei Wiesn-Schmankerln und frischem Bier gefeiert. Das Sozialreferat organisiert die Aktion „Wiesn mit Herz“. Über 50 Einrichtungen – etwa BRK, AWO sowie Alten- und Servicezentren – schlagen sozial benachteiligte Gäste für diese „längste Tafel“ der Wiesn vor.
„Es ist uns ein großes Bedürfnis, dass auch Menschen bei uns feiern, die sich das Oktoberfest nicht leisten können“, erklärt Wirte-Sprecher Peter Inselkammer. Kollege Christian Schottenhamel pflichtet bei: „Wir freuen uns, diesen Münchnern ein paar unbeschwerte Stunden auf dem Oktoberfest zu ermöglichen.“
Für Bärbel Draxinger ein Erlebnis – genau wie der unvergessliche Wiesn-Tag vor 60 Jahren. „So ein Bummel wäre bei mir finanziell leider nicht drin“, sagt sie. Vor Kurzem hat sie neue Zähne gekriegt. Die hatte sie lange von der kleinen Rente weggespart. Geld war immer knapp. Draxingers Lebensgefährte starb vor 43 Jahren bei einem Unfall, da war ihr Sohn neun Monate alt. Ein Leben in München könnte sich die ehemalige Steuerfachangestellte heute eigentlich gar nicht mehr leisten – wäre da nicht ein besonderer Glücksfall. Seit 2014 wohnt sie in einer sogenannten „Sorgenden Hausgemeinschaft“, in einem Haus mit acht Seniorinnen, Tür an Tür. Jede hat ihre eigene Wohnung, aber keine ist allein und alle helfen einander.
Erna Öttl wohnt schon seit fast 20 Jahren in so einem Haus. Ihre 40-Quadratmeter-Wohnung kostet 770 Euro warm. Als sie in der Bräurosl an ihrer Mass nippt, nennt die 87-Jährige ihr kleines Altersdomizil „Sechser im Lotto“. Als ihr Mann starb, wollte das Münchner Kindl zurück in die Stadt: „Gemeinsam lebten wir in Anzing, alleine wäre ich so ab vom Schuss aber lebendig begraben gewesen.“ Jetzt ist Öttl die gute Seele im Wohnhaus, wo sie eine blinde Dame und eine mit beginnender Demenz unterstützt.
Ohne den Verein „Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter“ hätte die gelernte Verkäuferin aber nie mehr in München Fuß fassen können. „Unser Ziel ist, älteren Frauen mit geringer Rente ein angenehmes Zusammenleben zu ermöglichen“, sagt Gründerin Christa Lippmann. Bald führt ihr Verein in der Landeshauptstadt sieben Häuser mit dem Konzept, das auf Frauen mit Wohnberechtigungsschein ausgerichtet ist.
Scheidungen, der Tod des Partners oder finanzielle Lasten treiben gerade Frauen in die Altersarmut. Und dagegen steuert Christa Lippmann seit 1981 an. Dafür sind ihr Erna Öttl und Bärbel Draxinger unendlich dankbar. Auch darauf stoßen die zwei Frauen auf ihrem ganz besonderen Wiesn-Ausflug an. CORNELIA SCHRAMM