Elfriede Grimmig verkauft seit 60 Jahren Brezn auf der Wiesn. © Achim Schmidt
Elfriede Grimmig blickt zum Himmel. Endlich, die Sonne schafft es durch die dicke Wolkendecke. Erstmal hat die 79-Jährige an diesem Morgen nur zehn Wiesn-Brezn beim Bäcker bestellt. Man weiß ja nie, bei Regen laufen die Menschen an ihrem weiß-blauen Standl eher vorbei, direkt hinein in die Augustiner Festhalle. Dann würde sie auf ihrem Gebäck sitzen bleiben. Jetzt aber, wo sich der Biergarten füllt und es trocken bleibt, lachen Grimmigs krosse Brezn die Kundschaft schon viel mehr an. Nun geht’s rasant. Plötzlich sind vier Stück verkauft.
60 Jahre. So lange verkauft Elfriede Grimmig schon Brezn und Brot auf der Wiesn. Das Geschäft ist knifflig. „Die Brezn dürfen nie bazig oder trocken werden“, erklärt die Rentnerin und deutet auf das Plexiglas, das ihre Ware schützt. Jeden Tag montiert es Grimmig an ein anderes weiß-blaues Standl im Augustiner-Garten. Sie und die anderen sechs Brotfrauen rotieren. Der Fairness halber. Denn das allererste Standl am Haupteingang – Spitzname „Arschloch 1“ – will keine bedienen. Hier holt sich jeder nur Appetit, kauft aber erst an Standl 2 oder 3. „Je näher am Zelteingang, desto besser“, sagt Grimmig.
37 dieser weiß-blauen Brotstände gibt es auf dem ganzen Festgelände. Hinter jedem steht ein Münchner, der dem aktuellen Hartz-IV-Satz zufolge als bedürftig gilt. Die Stadt nimmt dafür jedes Jahr Bewerbungen entgegen und vergibt die Plätze gegen eine Gebühr von 176 Euro netto für die 16 Tage Wiesn. Der Nebenjob ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das soziale Konzept wurde durch die Weltkriege geboren – für Kriegswitwen und alleinerziehende Mütter.
Im Alter von 19 Jahren stand Elfriede Grimmig zum ersten Mal hinter so einem Standl, vor dem Armbrustschützenzelt. 1965 war das Geld knapp, als ihr Sohn zur Welt gekommen war. Der alleinerziehenden Büroangestellten war der lukrative Nebenjob auf der Wiesn seitdem immer willkommen, bis heute bei der schmalen Rente. Streng genommen aber feiert Grimmig heuer schon ihr 76. Wiesn-Jubiläum. Denn als ihre Mutter Johanna Kiefl 1949 vor der Ochsenbraterei als Brotfrau anheuerte, nahm sie ihr Nesthäkchen im Leiterwagerl einfach mit. Ihr Mann war mit nur mehr einem Arm aus dem Krieg zurückgekehrt und bald musste das Paar zehn Kinder versorgen.
Jetzt schaut ein Mitarbeiter der Bäckerei Piller an Grimmigs Standl vorbei. Dieses Mal ordert sie 20 Brezn nach. Es geht auf Mittag zu und regnet nicht mehr. „Ware bestellen ist viel einfacher geworden“, sagt die Brotfrau. „Als kleines Madl hat mich meine Mutter damals mehrmals am Tag zu einem Bäcker im Westend geschickt. In einem großen Weidekorb musste ich dann die Brezn zu ihr auf die Wiesn schleppen.“ Heutzutage rollen sie eine Viertelstunde nach Bestellung in einem Wagerl an. 3,80 Euro bezahlt Grimmig pro Brezn. Für 6,50 Euro wird sie weiterverkauft, Kellner kriegen 50 Cent Rabatt.
Eines aber hat sich nie verändert: So ein Breznstandl will 16 Tage lang von 8 bis 22 Uhr besetzt sein. Um die vielen Stunden durchzustehen, trägt Grimmig Stützstrümpfe, bequeme Schuhe und eine Rückenbandage. Bei hohen Temperaturen wird im Standl geschwitzt, bei der Kälte jetzt steht sie auf einem dicken isolierenden Styroporbrettl. „Früher gabs für uns Brezn-Frauen im Zelt gegen Kleingeld Suppe, Kaffee und Tee zum Aufwärmen, aber die Zeiten sind vorbei“, erzählt Grimmig. Also macht ihre Wärmflasche im Gustl-Garten auch mal unter den Bedienungen die Runde und an ganz harten Tagen auch mal ein Schnapserl. All die guten Wünsche ihrer Stammgäste und Herzlichkeit unter den Kollegen, sagt Grimmig, „das ist für mich die Wiesn.“ CORNELIA SCHRAMM