MÜNCHNER FREIHEIT

Das geht in die Hose

von Redaktion

Dass Kulturtechniken, die über Generationen erarbeitet worden sind, isoliert bleiben oder ganz verschwinden und später neu erfunden werden müssen, das hat es schon immer gegeben. Wie ägyptische Baumeister das mit den Pyramiden hingekriegt haben, begannen die Architekten hierzulande erst 2000 Jahre später zu ahnen. Und als Kolumbus, ausgerüstet mit einem Kompass und dem Wissen um die Kugelform der Erde, anno 1492 nach Amerika segelte, waren die Polynesier längst da. Schon mehr als 1000 Jahre vorher hatten sie gelernt, zielsicher über die Weltmeere zu navigieren. In jüngerer Zeit hat es die deutschen Autobauer getroffen. Die haben glatt verlernt, wie man kleine, sparsame und erschwingliche Autos baut.

Gewiss: Nicht jede verschwundene Kulturtechnik ist ein Verlust. Kein Mensch muss heute noch wissen, wie man sich vor einem Säbelzahntiger in Sicherheit bringt. Wie man ihn aus einer Höhle vertreibt, auf die man selbst ein Auge geworfen hat, ist allerdings nicht in Vergessenheit geraten. Das heißt heute Entmietung. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier soll es um einen Verlust gehen, der den Kern bajuwarischen Selbstverständnisses trifft: den Hosenträgersteg. Ein Trachtenverein im Süden Münchens hat das gerade erst schmerzhaft erfahren. Vor Jahren hatten die Trachtler sich für die Träger ihrer Krachledernen prachtvolle Stege fertigen lassen. Feinstes Leder, verziert mit dem Vereinsnamen und einem kunstvoll in Stickerei umgesetzten Bild ihres Wahrzeichens. Als der Vorrat nun zur Neige ging und neue Mitglieder nach dem Identität stiftenden Abzeichen verlangen, klopfte der Vereinschef bei dem Betrieb an, der die alten Stege hergestellt hatte. Dort hörte man sich an, was der Kunde haben wollte, und beschied ihn: „Des gäht ned!“

Der schüchterne Einwand, dass es vor ein paar Jahren ja ganz offensichtlich noch gegangen sein musste, ja dass sogar eine beträchtliche Anzahl von Beweisstücken samt der alten Rechnung existierten, verfing nicht. Es blieb beim lapidaren „Des gäht ned!“. Auch bei anderen Betrieben blitzte der wackere Trachtler ab. Das Wissen um die alte Kunst, bunte Motive auf ein Stück Hirschleder zu sticken, scheint aus dem Wissensschatz des bayerischen Handwerks ausradiert. Und das ausgerechnet im Land von Laptop und Lederhose! Was nützt es den Trachtlern, dass ihre Landsleute im Flugzeugbau und in der Raumfahrt ganz vorn mitmischen? Neue Hosenträgerstege werden sie aus den Technikschmieden nicht bekommen.

Dem Vernehmen nach hat der Verein nun Späher in alle Welt gesandt, um die alte Kunst vielleicht doch noch in irgendeiner abgelegenen Region aufzuspüren. Notfalls, so der Auftrag, sollen sie es sogar im Bayerischen Wald und in Oberfranken versuchen. Und in Uganda, da fertigen sie ja immerhin schon Lederhosen.

Die Schuhplattler des Vereins studieren derweil vorsorglich neue Choreografien ein, bei denen der Oberkörper ganz besonders aufrecht bleibt. Denn die kleinste Beugung könnte dazu führen, dass der Steg weit von der Brust absteht und der Aufdruck auf der Rückseite sichtbar wird: Made in Uganda.

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