In der Tantra-Falle

von Redaktion

Münchnerinnen decken geheime Sex-Sekte in einer Yogaschule auf

Die Journalistinnen Christiane Hawranek und Katja Paysen-Petersen. © Julia Knoblauch

Der Yoga-Guru Gregorian Bivolaru wurde in Frankreich festgenommen. © AP/Marian Ilie

Die Opfer suchten ihr Heil in einer Yogaschule. © IMAGO/DREAMSTOCK1982

Die menschliche Psyche kann so leicht manipuliert werden … Das wissen die Journalistinnen Christiane Hawranek (41) und Katja Paysen-Petersen (39) nur zu gut. Sie recherchieren in ihrem BR-Podcast „Seelenfänger“ seit Jahren in Organisationen, die Menschen verführen und zerstören. Am erfolgreichsten ist die Staffel „Toxic Tantra“ und hierüber erscheint nun ein Buch (s. Kasten). Es geht um eine internationale Yogaschule, die auch mitten in München agiert. Und um ein System, in dem tausende Frauen sexuell ausgebeutet wurden.

Mit über 40 Frauen und Männern haben die Journalistinnen gesprochen – eine hohe Zahl, schließlich schämen sich viele Opfer heute, dass sie mitgemacht haben. Dass sie in bester Absicht in die Deutsche Akademie für traditionelles Yoga (DATY) gegangen sind, entweder ins Zentrum in der Au oder im Olympischen Dorf, um ihr Bewusstsein zu erweitern – und schließlich in einer Pariser Wohnung geendet sind, wo sie mit dem „spirituellen Lehrer“ Gregorian Bivolaru stundenlang „tantrischen Sex“ praktizierten. Tantra ist eine indische Lehre, die Körper und Geist u. a. durch Yoga verbindet.

Alles letztlich freiwillig. „Die Manipulation lief unglaublich subtil ab“, sagt Katja Paysen-Petersen und skizziert anhand der Münchnerin Eva (Name geändert), damals eine Mittzwanzigerin, einen Fall. Eva fand an der DATY toll, dass dort neben den 1,5 Stunden Yoga-Praxis im Anschluss auch 1,5 Stunden Theorie stattfanden: Wie wirkt welche Übung auf Körper und Geist? Erst später kam die Sprache auf den spirituellen Führer der Yogabewegung: ein Rumäne, der in seiner Heimat „aus politischen und religiösen Gründen verfolgt würde“ – ein Freiheitskämpfer. Er sei in Frankreich untergetaucht, man könne ihm Fragen stellen, erzählt Evas Tantralehrer.

Eva findet es seltsam, dass der Oberlehrer ein analoges Foto zugeschickt haben will, auf dem sich die Schülerin a) in Unterwäsche oder b) im Bikini präsentiert. Auf der Rückseite des Fotos könne die Schülerin dann alle ihre Fragen an ihn stellen. „Alle Frauen, die wir getroffen haben, waren intelligent, teils mit Universitätsabschluss“, betont Paysen-Petersen. „Sie haben das mit den Fotos zunächst alle kritisch hinterfragt.“ Doch das Foto sei wichtig. Nur wenn er den Körper sehe, könne Bivolaru „die Aura lesen“. Irgendwann dachte sich Eva: Ist ja nur ein Foto, und bei Yoga geht es ja auch um Erfahrungen jenseits der Komfortzone.

Eines Tages erfährt Eva: Sie sei auserwählt und dürfe Bivolaru in Paris besuchen. Sie wird am Bahnhof von einem Chauffeur abgeholt, aber gebeten, eine Sonnenbrille aufzusetzen und einen Hut tief ins Gesicht zu ziehen, bevor die Fahrt in die Peripherie beginnt. Zu ihrem Schutz, denn der Aufenthaltsort des Gurus sei geheim, da er ja gesucht werde. „Das klingt wie in einem Thriller“, so Paysen-Petersen, „aber die Frauen hatten ja eine gute Erklärung dafür bekommen“.

Eva gelangt in ein „Übergangshaus“. Dort warten bereits weitere junge Frauen darauf, ihren Guru zu treffen. Alle sind leicht bekleidet, kommen aus Rumänien, Großbritannien, Berlin, München. Jetzt zweifelt Eva plötzlich sehr, ob das Treffen vielleicht doch aus mehr besteht, als Fragen zu stellen. Sie erinnert sich an die Worte ihres Tantralehrers: „Es wird nichts passieren, was du nicht willst.“ Immer wieder wird eine Frau – bevorzugt mit großen Brüsten – aus dem Haus geführt, während eine neue „Schülerin“ das Haus betritt. Die Frauen werden angeleitet, Pornos zu schauen, sich mit Massageöl einzureiben. „Alles war total übersexualisiert.“

Irgendwann ist Eva dran. Sie wird an einen anderen Ort gebracht. Dort öffnet ihr ein alter Mann, nackt bis auf einen violetten Bademantel, die Tür. Eva ist angeekelt, hat fest vor, nur ihre Fragen zu stellen. Zusammen setzen sie sich nackt aufs Bett – und es endet doch mit Sex. Wie konnte es so weit kommen?

Das System der Manipulation beginnt mit der ersten Yogastunde, so Paysen-Petersen. „In der Schule herrscht zunächst eine total liebevolle Atmosphäre. Der Begriff heißt ,Love Bombing‘. Du wirst mit Liebe zugeschüttet, aber gleichzeitig wird dir bei allen Dingen, die dir seltsam vorkommen – wie etwa die Fotos in Unterwäsche – subtil mitgeteilt, dass alle anderen spirituell schon auf einer höheren Stufe stünden und man vieles noch nicht verstehen könne.“ Punkt zwei: das große Heilsversprechen. „Wenn du regelmäßig an den Stunden teilnimmst und aktiv mitmachst, wirst du erfolgreicher, attraktiver, ausgeglichener.“ Punkt drei: Abgrenzen von der Außenwelt. „Alkohol ist böse, fleischlose Ernährung ist das einzig Wahre, die Außenwelt ist dämonisch. Du verlierst den Kontakt zu deinen Freunden, deiner Familie, sogar zu deinem Lebenspartner.“ Immer mit der Hoffnung auf Erleuchtung, auf ein schöneres, zufriedeneres Leben.

Der Guru wurde im Winter 2023 verhaftet, mitten in der Recherche des BR-Duos. Er sitzt in U-Haft, ihm drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die DATY in München streitet alle Vorwürfe ab, in den Sex-Skandal involviert zu sein: Bivolaru sei nicht ihr „Guru“. Einige Kursleiter und -teilnehmer hätten ihn allerdings als ihren spirituellen Lehrer gewählt.MATTHIAS BIEBER

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