MÜNCHNER FREIHEIT

Das Rätsel der Dauer-Welle

von Redaktion

Wellen haben etwas Rätselhaftes. Schon allein, weil jeder unter „Welle“ etwas anderes versteht. Der Maschinenbauer denkt an etwas Rundes, Längliches, das sich dreht und Kraft überträgt. Der Friseur denkt an 180 Euro. Dem Musik-Nostalgiker fallen Nena und ihre 99 Luftballons ein, mit denen die Neue Deutsche Welle sich aufbäumte, bevor sie im Kommerz verebbte. Fußballfans denken an „la ola“ und reißen reflexartig die Arme hoch, Physiker streiten darüber, ob Licht nun eine Welle oder ein Teilchen ist.

Aber bleiben wir bei der Welle. Und zwar bei der im Wasser, die ist unergründlich genug. Einmal vermag sie die Wasseroberfläche kaum zu kräuseln, dann wieder schlägt sie schäumend auf Küsten ein, versenkt als sagenumwobene „Monsterwelle“ Schiffe oder verwüstet als Tsunami ganze Landstriche. Surfer träumen von Wellen-Giganten vor Hawaii und Portugal, in denen sie vor Publikum Kopf und Kragen riskieren können. Und von der Eisbachwelle in München. Aber da hat es sich jetzt ausgeträumt: Die Welle ist weg!

Der Ortsfremde mag Mühe haben, die Dramatik dieses Satzes zu erfassen. Es gehöre ja gerade zum Wesen der Welle, dass sie sich aufbaue, vorbeiziehe und wieder weg sei, wird er einwenden. Aber nicht zum Wesen der Eisbachwelle. Die steht – oder stand – als echte Dauer-Welle seit fast fünf Jahrzehnten. Heerscharen von Amateur- und Profisurfern aus aller Welt hat sie angelockt. Und sie hat uns gelehrt, wie bayerische Mia-san-mia-Mentalität, gepaart mit der Weisheit des Prinzips „Leben und leben lassen“, eine besondere Form des flexiblen Verwaltungshandelns geschaffen hat. Jahrelang war das Surfen auf der Eisbachwelle behördlicherseits streng verboten, was das Tourismusamt aber nicht hinderte, mit den schönen Bildern Werbung für die Stadt zu machen. Und jetzt: Wo einst die Welle stand, keine 400 Meter von der Staatskanzlei entfernt, nur mehr Schaumschlägerei.

Ganz ehrlich: Ich kann die Welle verstehen. Wahrscheinlich war ihr der Wirbel der vergangenen Wochen und Monate einfach zu viel. Zuerst hat man sie des Totschlags bezichtigt, dann musste sie peinliche Untersuchungen im Bett über sich ergehen lassen, und nun hat man ihr zur Bachauskehr abermals das Wasser abgedreht. Verständlich, dass ihr irgendwann der Kamm schwoll und sie sich über Nacht davongemacht hat. Nur: Wo sollen wir sie suchen? Ist sie stromab gewandert, um sich anzuschauen, wo einst Heinrich der Löwe dem Freisinger Bischof die Brücke angezündet haben soll? Oder hat sie sich gegen den Strom davongemacht und versteckt sich irgendwo in der Pupplinger Au?

Kaputt gemacht habe man sie bei der Bachauskehr jedenfalls nicht, beteuert das Baureferat. Aber wer kann da sicher sein? Wenn, wie es heißt, der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Tornado auslösen kann, vielleicht war ja dann der Verlobungsring, den die Hintergruber Kathi anno 1875 wutentbrannt von der Großhesseloher Brücke geworfen hat, 100 Jahre später Auslöser der Eisbachwelle. Deshalb, liebe Bachauskehrer: Falls so ein Ring oder etwas Ähnliches gefunden worden ist: Bringt es zurück. Die Surfer-Gemeinde wird’s euch danken.

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