Die alte Schalterhalle steht leer – aber abstellen darf man sein Rad hier nicht. © dw
Pendler Gerhard Fürmetz inmitten des Radlchaos am Hauptbahnhof. © Markus Götzfried
Entnervt schaut Gerhard Fürmetz auf ein Gewirr aus Eisen, Blech und Stahl. Direkt vor dem Hauptbahnhof-Nordeingang gibt es Radlchaos. Kreuz und quer stehen Fahrräder – alte, neue, viele mit platten Reifen, demoliert, achtlos stehen oder liegen gelassen, manche sicher seit Jahren. Und mittendrin steht sein Fahrrad. Zum Glück diesmal nicht bekleckert mit Kaffee auf dem Sattel, mit verbogenem Schutzblech oder Erbrochenem am Reifen. Alles schon vorgekommen – sozusagen tagtäglich Brot der Radler vom Hauptbahnhof.
Fürmetz ist vermutlich einer von tausenden, die täglich nach einem Radlstellplatz am Münchner Hauptbahnhof (Hbf) suchen. Der Archivar am Hauptstaatsarchiv wohnt in Augsburg. Zum Hbf fährt er mit dem Zug, die letzten Kilometer pendelt er mit dem Rad. Morgens hin, abends zurück. „Nur bei Starkregen nehme ich die U-Bahn.“ Wie viele andere ärgert er sich über das unüberschaubare Radl-Chaos. Seitdem die Bahn am Bahnhof und der zweiten Stammstrecke gleichzeitig baut, ist es immer schlimmer geworden. Rings um den Bahnhof gibt es wohl hunderte wild abgestellte Räder. Sogar am Zaun, der die Tram-Gleise von der Arnulfstraße abgrenzt, sind dutzende Fahrräder angekettet – Verbotsschilder werden souverän missachtet.
Dabei mangelt es nicht an guten Vorschlägen aus der Radl-Gemeinde. Im Vorjahr etwa schlug ein Pendler aus Tutzing, der ebenfalls die letzten Kilometer zu seiner Arbeitsstelle ab Bahnhof mit dem Radl bewältigt, die ausrangierte Schalterhalle des Starnberger Flügelbahnhofs als Abstellmöglichkeit vor. Damals hieß es, das ginge nicht, denn die Halle werde 2025 abgerissen. Seitdem indes geschah: nichts! Die Schalterhalle steht nach wie vor – und sie ist leer. Auf Nachfrage erklärt die Bahn jetzt: „Der Abbruch der alten Schalterhalle soll Ende 2026 erfolgen.“
Das Mobilitätsreferat kann auch nur vertrösten: Zwar hat der Stadtrat im Februar das „Konzept für das bauzeitliche Fahrradparken am Hauptbahnhof“ verabschiedet. Mehr vernünftige Abstellflächen gibt es aber nicht. „Nach aktuellem Planungsstand“ soll 2027 eine Fahrradgarage an der Ecke Seidl-/Arnulfstraße entstehen – das ist allerdings ein Stück weg von den Ausgängen des Hauptbahnhofs. Noch eine Idee: Nördlich des Bahnhofs in der Hirtenstraße könnte im Erdgeschoss eines Parkhauses Platz für Radl geschaffen werden. Eventuell „noch im Jahr 2025“. Man wird sehen…
Einstweilen sucht Gerhard Fürmetz weiter nach geeigneten Abstellmöglichkeiten. Er hat einige Geheimplätze, wie er sagt. Auffällig am Radl-Parkplatz an der Arnulfstraße, der immerhin überdacht ist: Viele Räder des Lieferdienstes Wolt mit sperrigen blauen Rucksäcken, die auf den Gepäckträgern geklemmt sind, machen sich jetzt hier breit. „Die übernehmen jetzt die Macht“, sagt Fürmetz. Normale Radler sind frustriert. „Gestern habe ich einem geholfen, der hatte sein Rad in den Wolt-Dingern verkeilt.“ Mit Wut im Bauch habe der Mann dann mit Füßen gegen die Räder getreten, ehe ihn Fürmetz einbremste.
Fürmetz hat das Beispiel in Augsburg vor Augen. Am dortigen Hauptbahnhof gibt es gleich zwei Radstationen. Man zahlt 70 Euro für eine Jahreskarte, dafür ist das Rad sicher und trocken untergebracht – mit regulärem Stellplatz. All das, was die Stadt München im Moment nicht schafft.DIRK WALTER