Gil Bachrach bei dem Festakt. © Michael Tinnefeld/API (6)
Sunnyi Melles auf der Bühne im Hubert-Burda-Saal.
Judith Epstein und Georg Eisenreich.
Anne-Sophie Mutter und Pianist Igor Levit.
Thomas Greinwald, Herzog Franz von Bayern, Dr. h. c. Charlotte Knobloch und Karin Baumüller-Söder (v. li.).
Sängerin Vicky Leandros brachte die 500 Gäste mit ihrem Hit „Ich liebe das Leben“ zum Mitsingen.
Es sind die kleinen Momente, die diesem Abend die Schwere nehmen: Wenn Gastgeberin Charlotte Knobloch zur eigenen Veranstaltung ein bisserl zu spät kommt, wenn Moderator Gil Bachrach einen jüdischen Witz reißt und sich mit Weltklasse-Pianist Igor Levit einen unterhaltsamen Schlagabtausch liefert. Und natürlich, wenn Vicky Leandros mit ihrer wunderbaren Hymne „Ich liebe das Leben“ die 500 Gäste gleich zu Beginn zum Mitsingen bringt.
Stellen sich doch alle die Frage, wie begeht man Jüdische Kulturtage in diesen „aufwühlenden Zeiten, in denen wir noch immer traumatisiert sind, zerrissen zwischen Ohnmacht und Hoffnung, Wut und tiefer Trauer und doch unbeugsam und selbstbewusst“, wie es Bachrach formuliert. Er ist selbst seit über 40 Jahren Mitglied der Münchner jüdischen Gemeinde. Judith Epstein stellt sich seit Jahren dieser Aufgabe.
Sie ist der kreative Kopf hinter den Jüdischen Kulturtagen und dem Eröffnungsabend am Mittwoch im Hubert-Burda-Saal am Jakobsplatz. Sie hat vor allem eine Leitlinie, der sie folgt: „Tiefe Menschlichkeit.“ Denn jüdisches Leben „ist nicht nur die Erinnerung an Schmerz und Verlust, sondern es ist Freude, Kreativität, Musik, Humor und tiefe Menschlichkeit“.
Und so schaffte sie es, viele Künstler mit ins Boot zu holen, die die jüdische Kultur zeigen, weitertragen und feiern, egal welchen Glauben sie selbst haben. Wie Sophia Luise Gräfin von Schaesberg, die am 25. November einen Salon-Abend mit Liedern aus den 20er-Jahren, geschrieben von Werner Richard Heymann, bestreiten wird. Oder – fantastisch bereits an diesem Abend – Schauspielerin Sunnyi Melles, die mit Texten von Nelly Sachs und Margot Friedländer das Publikum auf eine lange Reise mitnahm – zuerst nach Berlin, dann Auschwitz, schließlich nach Amerika.
Melles setzte den Schlussakkord an diesem aufwühlenden Abend, nach Igor Levit, dem Ausnahmepianist und Aktivist, der der Menschenfeindlichkeit der AfD genauso entschieden entgegentritt wie Musikern, die antisemitische Parolen verbreiten. Er habe schon Morddrohungen erhalten, erzählt Levit, aber was ihm mehr Angst mache, ist stumme Ablehnung. Menschen, sehr viele davon im deutschen Kulturbetrieb, hätten sich einfach von ihm abgewendet, sind verschwunden, wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. „Mein Telefonbuch ist um 90 Prozent geschrumpft.“
Was er sagt, hallt im Saal lange nach, weil es so ungeheuerlich erscheint. Genau diese „wachsende Gleichgültigkeit“, so Judith Epstein, ist es, gegen die sie mit den Kulturtagen (Programm unter www.juedischekulturmuenchen.de), die selbstverständlich allen offenstehen, ankämpft. Dafür hat sie ein wunderbares Motto gewählt: Vereint im Herzen.
Diesem Motto folgten bei der Eröffnung: Axel Milberg, der der jüdischen Gemeinde seit Jahrzehnten eng verbunden ist, sowie Schauspieler Francis Fulton Smith, Herzkoryphäe Prof. Dr. Bruno Reichart mit Ehefrau Elke, eine große Bewundererin Levits, Unternehmer Bernhard Frohwitter, der mit Ehefrau Julia den Kriegsausbruch 2023 in Tel Aviv miterlebte, die Unternehmer Dr. Wolfgang und Annette Schnell, Schauspieler Michael Brandner mit Frau Karin, Filmemacherinnen Heidi Kranz und Gabriele Sperl, Galeristin Sarah Kronsbein. OB Dieter Reiter mahnte per Videobotschaft.
Beeindruckende Reden hielten Justizminister Georg Eisenreich, der klarstellte, was viele vermuten: „Seit dem 7. Oktober (dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, Anm.) erleben wir die schlimmste Welle des Antisemitismus seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Auch Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung, prangerte in seiner harschen Rede an, dass nach 1945 die Mitläufer und Mörder den Antisemitismus immer noch ungehindert weitertragen konnten. Bis heute. Und genau deshalb sind Abende wie diese so ungeheuer wichtig.MARIA ZSOLNAY