Herbert List ist bekannt für seine Ruinen-Fotografie.
Gipsabgüsse in der zerstörten Akademie (1945/46).
Die Ausstellung ist in der Rathausgalerie am Marienplatz zu sehen. © M. Hangen
Das Farbdia von Clemens Bergmann zeigt das Neue Rathaus vor brennender Stadt (1943/44). Seine Fotos schoss Bergmann vom Turm der Frauenkirche, wo er als Brandmelder stationiert war. © Stadtmuseum (3)
München – Eigentlich war er Glaser und Tapezierer. Doch als der Zweite Weltkrieg ausbrach und ab 1940 Bomben auf München fielen, musste Clemens Bergmann (1903–1973) umsatteln. Der Zivilist wurde zum Turmbeobachter – eine Position, die die Münchner Feuerwehr 1941 einführte. Die Beobachter saßen auf verschiedenen Türmen der Stadt, Bergmann war auf dem nördlichen Turm der Frauenkirche stationiert. Seine Aufgabe: über Peilgeräte sollte er Brandherde an die Feuerwehr melden. Bergmann meldete die Brände aber nicht nur, sondern fotografierte sie auch heimlich.
Akribisch dokumentierte er die brennende Stadt, beschriftete alle Aufnahmen fein säuberlich. Auf manchen seiner Fotos sind Gebäude wie das Neue Rathaus zu erkennen, manchmal nur Flammen vor schwarzem Hintergrund. Es sind apokalyptische Aufnahmen, die aktuell in der Rathausgalerie zu sehen sind. Dort richtet das Stadtmuseum anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren die Ausstellung „Stadt in Trümmern. Herbert List und die Ruinenfotografie in München“ aus. Bergmanns Dias sind Teil der Ausstellung, die sich der Zerstörung und dem Wiederaufbau Münchens während und nach dem Zweiten Weltkrieg widmet.
Die Fotos muss der Brandmelder heimlich gemacht haben
Die meisten Fotografien stammen von Herbert List (1903–1975). Anders als Bergmann war List kein Amateur-, sondern ein Profi-Fotograf. 1936 verließ List, der jüdische Großeltern hatte, Deutschland. Zuerst ging er nach Frankreich und Italien, dann ließ er sich in Griechenland nieder. Als deutsche Truppen 1941 in Athen einmarschierten, musste der Fotokünstler zurück nach Deutschland. Er landete in München und begann, die Zerstörung seiner Stadt festzuhalten. In Griechenland fotografierte der vom Surrealismus inspirierte List vor allem Ruinen. Diesen Blick brachte er mit zurück nach München, beschreibt Kathrin Schönegg, die die Ausstellung in der Rathausgalerie kuratiert hat. Als künstlerischer Fotograf sei List mehr an Ruinen als an Trümmern interessiert gewesen. Das spiegelt sich in der Ausstellung wider – viele von Lists Fotografien zeigen die zerstörten Stätten der Stadt aus einer künstlerischen Perspektive.
Alltägliche Aufnahmen der Zerstörung und des Lebens im Nachkriegs-München gibt es aber auch zu sehen. Etwa auf den Dias der Amateurfotografin Dorothea Brockmann (1899–1983), die das Stadtmuseum in seinem Archiv gefunden hat. „Sie hat nicht das perfekte Motiv gesucht, sondern ist einfach durch die Stadt gegangen“, sagt Schönegg über die Künstlerin, die bis zu ihrem Tod als Nonne in der Benediktinerinnenabtei St. Walburg tätig war. Erst kurz vor Ausstellungseröffnung ist es Schönegg durch detektivische Arbeit gelungen herauszufinden, dass die Dias von Brockmann stammen – sie lagerten bis dahin als anonyme Sammlung im Archiv.
Künstlerische Fotos stehen neben Alltagsaufnahmen
Brockmanns Aufnahmen sind ganz anders als Lists Fotografien. Weniger künstlerisch, sondern alltäglicher, persönlicher. Es sind mehr Schutthaufen zu sehen. Genau das macht die Ausstellung so interessant. Ein Zusammenspiel aus Lists eher künstlerischer Annäherung an das zerstörte München und Amateuraufnahmen von Zivilisten wie Bergmann und Brockmann. Besonders Bergmanns Dias sind eindrücklich. Ihr sei nicht bekannt, dass außer ihm jemand die Bombardements fotografiert habe, sagt Schönegg. Sie geht davon aus, dass der Turmbeobachter die Aufnahmen heimlich gemacht hat – eigentlich hätte er die Zerstörung nicht fotografieren dürfen, es gehörte auch nicht zu seinen Aufgaben als Brandmelder. Wie und wann seine Dias im Archiv des Stadtmuseums landeten, ist unklar. Die Aufnahmen sind eindrucksvoll – und allein einen Besuch in der Rathausgalerie wert.
Geöffnet ist die kostenlose Ausstellung im Neuen Rathaus am Marienplatz dienstags bis samstags von 13 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 19 Uhr. Sie läuft noch bis zum 17. Dezember. Führungen gibt es am 21.11. (13 Uhr), 27.11. (17 Uhr), 4.12. (17 Uhr), 11.12. (17 Uhr) – eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Weil das Stadtmuseum wegen Renovierungsarbeiten noch bis 2031 geschlossen ist, gastieren die Ausstellungen zurzeit in anderen Häusern. LEA SCHÜTZ