MÜNCHNER FREIHEIT

SiRuSil im Elefantenhaus

von Redaktion

Es gibt nicht viel, was meinen alten Spezl Rudi aus der Ruhe bringt – wenn man ihm seine Ruhe lässt. Er mag’s halt nicht laut, weshalb er Festzelte, Blaskapellen und Rockkonzerte meidet. Dass er seit ein paar Tagen noch etwas grantiger daherkommt als üblich, überrascht mich nicht. Der näher rückende Jahreswechsel drückt ihm aufs Gemüt, seit er in seinem Obersendlinger Wohnblock zunehmend von Mitbewohnern umzingelt ist, die in der Silvesternacht den Gegenwert eines Mittelklassewagens in Schall und Rauch aufgehen lassen. Früher, so erzählt Rudi, sei er durchaus mal um Mitternacht auf seinen Balkon hinausgetreten und habe sich das Feuerwerk in Hadern und Grünwald angesehen. Heute lässt er aus Sorge um seine Fensterscheiben sogar die Rollläden herunter, weil ihm von allen Balkonen ringsum Böller um die Ohren fliegen. Ein bisserl neidisch blickt Rudi nach Norden. Nur ein paar hundert Meter weiter, innerhalb des Mittleren Rings, ist Böllern seit 2019 verboten. Dass der Stadtrat nun auch noch den Viecherln im Tierpark Hellabrunn eine eigene Schutzzone eingerichtet hat, ihn aber ungeschützt im infernalischen Lärm sitzen lässt, empfindet er endgültig als zutiefst ungerecht.

Und deswegen wird der Rudi jetzt, zum ersten Mal in seinem Leben, demonstrieren. Einen Sitzstreik für Ruhe an Silvester, kurz SiRuSil, will er durchführen. Und zwar im Hellabrunner Elefantenhaus. Rudi plant, sich dort mit Schlafsack und Luftmatratze für die Nacht der Nächte einzuquartieren. Er hofft auf ein Einsehen des Personals und ist sicher, dass er mit seinen Nachtquartier-Genossen gut auskommen wird. „Lauter als die Böllerhölle bei mir daheim werden die Elefanten schon nicht sein“, sagt er zuversichtlich. „Vielleicht helfen sie mir sogar, die Luftmatratze aufzublasen.“

Womöglich wäre SiRuSil eine prima Geschäftsidee für den Tierpark. Rudi ist ja nicht der einzige Freund der Stille, und geheizte Besucherflächen gibt es zuhauf: Bei Giraffen, Menschenaffen (möglicherweise etwas unruhig), kleinen Affen, Elefanten, Nashörnern (für die, die es kuschelig eng mögen), Schildkröten (Achtung: Pfeif-Frösche) und, für die besonders Ruhebedürftigen, im Aquarium fänden locker ein paar hundert Feldbetten Platz. Die nächtlichen Besucher wären sicher bereit, dafür einen ansehnlichen Eintritt zu berappen, und der Lerneffekt wäre enorm. Die Aktion könnte helfen, das Verständnis der Gesellschaft für die bedrohte Kreatur zu vertiefen – und umgekehrt auch das Verständnis der Besucher für die faszinierende Tierwelt.

Und am Neujahrsmorgen, sagte Rudi grinsend, werde er sich bei seinen Böller-Nachbarn revanchieren: Nach einer Nacht im Elefantenhaus werde er Lift und Treppenhaus eine durchdringende Duftnote verpassen. Und sein Schlafsack, auf dem Balkon aufgehängt, werde die ganze Nachbarschaft olfaktorisch in die Zeiten zurückversetzen, in denen in Obersendling noch Landwirtschaft betrieben wurde.

Ein Hauch biblischer Gerechtigkeit lag in der Luft, als Rudi theatralisch die Stimme erhob. „Auge um Auge!“, rief er. Und mit leisem Lächeln fuhr er fort: „Ohr um Nase.“

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