Eine Münchnerin an der Front

von Redaktion

Ukraine: Filmemacherin berichtet aus dem Kriegsgebiet

Ein Soldat hantiert mit einer Drohne.

Die Soldaten mit den Rufnamen Yakym und Tokio.

Daria Onyshchenko organisiert immer wieder Solidaritätsdemos für die Ukraine in München © Jens Hartmann

Immer im Einsatz, immer in Gefahr: Ukrainische Soldaten in der Nähe der Front.

Die Filmemacherin Daria Onyshchenko im Kriegsgebiet in der Ukraine.

Sie steht an einem gepanzerten Fahrzeug, den Gefechtshelm in der Hand: Die Filmemacherin Daria Onyshchenko, die aus Kiew stammt, lebt seit rund 20 Jahren in München und ist in den Süden der Ukraine gereist, direkt an die Front. Hier schildert sie ihre Eindrücke aus dem Kriegsgebiet:

Die Straße ist leicht mit Schnee bedeckt, an den Seiten hängen Fischernetze, sie dienen als Anti-Drohnen-Schutz. Es geht zu einer Stellung der spezialisierten Luftaufklärungseinheit „Kotyky“ des 1. Bataillons der Territorialverteidigungskräfte. Im Süden der Ukraine – an einem der derzeit angespanntesten Abschnitte der Front.

Es dämmert. Die Straße führt über Felder zu einem Waldstreifen. Dort befindet sich zwischen niedrigen Bäumen ein Unterstand. Unser Pick-up hält in sicherer Entfernung. Bis zum Unterstand sind es etwa 100 Meter, die man sehr schnell zurücklegen muss, um nicht von feindlichen Drohnen entdeckt zu werden. Am Horizont, hinter der Stadt Orichiw, leuchten Feuerblitze auf. Explosionen sind zu hören. Die direkte Kontaktlinie ist ganz nah.

Bei den Gesprächen mit den Soldaten vor Ort geht es vor allem um eins: die Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand. Wie stehen die Menschen hier an der Front zu den aktuellen Entwicklungen? Wie bewerten sie die mögliche Notwendigkeit, Gebiete wie den Donbass abzutreten, die Armee zu verkleinern – was in der Vergangenheit immer wieder als Teil eines möglichen Friedensplans ins Spiel gebracht wurde, auch von Verhandlern der USA.

Einer der Piloten mit Rufnamen Bulawa sagt: „Wir verteidigen unser Land, versuchen Meter für Meter unsere Gebiete zurückzuholen und machen uns keine Illusionen, dass irgendjemand plötzlich kommt und alles für uns regelt.“ Er spielt damit auf die Rolle von US-Präsident Donald Trump in den Verhandlungen an, der immer wieder Zugeständnisse an Russland von der Ukraine für einen Friedensschluss gefordert hatte. Bulawa ist überzeugt, dass die Ukraine zu viele Zugeständnisse an Russland nicht akzeptieren wird. Er erinnert auch daran, dass nach Trumps Sieg bei den vorherigen Präsidentschaftswahlen viele bereits vom baldigen Ende des Krieges gesprochen hätten. Doch dazu kam es nicht.

Ein Soldat mit dem Rufnamen Yakym (42) ist ebenfalls skeptisch. Immer noch sei vielen im Ausland das Ausmaß der Bedrohung nicht bewusst, welches das heutige Russland für ganz Europa und die Welt darstelle, sagt er: „Wie viele Verhandlungsrunden waren das nun schon? Wenn niemand den Mut hat, etwas zu ändern, verlieren am Ende alle. Mit Russland kann man nicht in der Sprache der Zugeständnisse sprechen.“ Das Land verstehe nur die Sprache der Stärke, sagt er. „Es gibt keinen anderen Ausweg. Wenn wir sie nicht stoppen, wird die Ukraine nur der Anfang eines viel größeren Krieges sein“, glaubt Yakym. Das müssten auch die Europäer verstehen, glaubt er.

Danach verlassen wir die Stellung, verbringen die Nacht etwas weiter von der Front entfernt – in einem kleinen Haus, das die Soldaten auf eigene Kosten mieten. Dort können sie sich zwischen den Einsätzen etwas erholen. Im Haus gibt es eine kleine Werkstatt zum Zusammenbau von FPV-Drohnen („First Person View“), bei denen zur Steuerung Bordkameras verwendet werden, die Live-Bilder an Videobrillen, Mobiltelefone oder Tablets übermitteln. Geräte, die vom Staat und von Freiwilligen bereitgestellt werden, werden hier für den Einsatz vorbereitet, überprüft, mit Glasfaserspulen ausgestattet und anschließend zu den Stellungen gebracht.

Dort ist der junge Soldat mit dem Rufnamen Tokio (26). Er dient seit einem Jahr in diesem Zug und hat in dieser Zeit gelernt, verschiedene Drohnentypen zu steuern. Er hat die Besatzung erlebt, wurde von den Russen festgenommen, in einem Keller verhört und konnte nur mit viel Glück – mithilfe von Schleusern und gegen Geld – aus dem besetzten Gebiet entkommen. Danach entschied er sich, den Streitkräften der Ukraine beizutreten. Er steht einem Waffenstillstand mit Zuggeständnissen wie möglichen Gebietsabtretungen an Russland äußerst negativ gegenüber. Seine Meinung: „Viele meiner Freunde sind für Donezk und Luhansk gefallen. Wofür war das alles dann? Zu viele junge Menschen sind gestorben – für die Freiheit, für unser Land.“ Das soll nicht umsonst gewesen sein. DARIA ONYSHCHENKO

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