Barcelona – Es sind erschreckende Bilder, die am Sonntag aus Spanien in die Welt getragen werden. Polizeieinheiten mit Stoßtrupp-Ausrüstung sind auf den Straßen Kataloniens unterwegs. Vor mehreren Wahllokalen gehen die Beamten rabiat auf Bürger los, treten sie, reißen sie an den Haaren, schleifen sie über den Boden. Später sollen auch Gummigeschosse und Schlagstöcke eingesetzt worden sein – alles, um das von der Justiz und von der Zentralregierung in Madrid verbotene Unabhängigkeitsreferendum in der aufmüpfigen Region zu blockieren.
„Einen Krankenwagen! Einen Krankenwagen!“, ruft eine junge Frau und hält eine ältere Frau in den Armen, die heftig am Kopf blutet. „Als die Menschen deutlich machten, dass sie sich nicht vom Wahllokal wegbewegen würden, haben sie uns mit Schlagstöcken attackiert“, zitierte die Zeitung „La Vanguardia“ einen Katalanen vor der Schule „Ramon Llull“ in Barcelona. „Den Hass in ihren Augen werde ich nicht vergessen. Sie haben auch Alte und Kinder angegriffen, es war ihnen egal.“ Die Bilanz des katalanischen Gesundheitsministeriums bis zum Abend: Mindestens 844 verletzte Bürger, einige von ihnen schwer. Auch 33 Polizisten wurden verletzt.
Videos mit Aufnahmen der Polizeigewalt machen schnell auch außerhalb Spaniens die Runde und sorgten den ganzen Tag über für Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern der Volksbefragung. Blutende Menschen, prügelnde Sicherheitskräfte – Ministerpräsident Mariano Rajoy könnte das alles nun zum Verhängnis werden, denn seine konservative Minderheitsregierung hatte die Sicherheitskräfte entsandt und wohl zum harten Durchgreifen aufgefordert.
Sogar entschiedene Gegner des Referendums und der Unabhängigkeit schüttelten angesichts des brutalen Vorgehens entsetzt den Kopf. Einer der angesehensten TV-Journalisten Spaniens, Jordi Évole, der die illegale Abstimmung bisher scharf kritisiert hatte, postete auf Twitter: „Diejenigen, die sich diesen Plan zur Verhinderung des Referendums ausgedacht haben, wissen wohl nicht, dass sie vielleicht den endgültigen Weggang Kataloniens eingeleitet haben.“
Der Chef der katalanischen Sozialisten (PSC), Miquel Iceta, auch ein Gegner der Separatisten, rief Rajoy und Kataloniens regionalen Regierungschef Carles Puigdemont wegen der Ereignisse am Sonntag zum Rücktritt auf, „wenn sie es nicht schaffen, die Normalität wiederherzustellen“. Der „inakzeptable“ und „unverhältnismäßige“ Polizeieinsatz müsse sofort eingestellt werden, forderte er. Auch dem früheren Barcelona-Star Xavi platzte der Kragen. „Was heute in Katalonien passiert, ist eine Schande“, erklärte der sonst zurückhaltende Fußball-Weltmeister von 2010 empört in einer Videobotschaft.
Rajoy, der bis zuletzt jeden Dialog mit den Separatisten abgelehnt hatte, trat am Abend vor die Presse. Kein Wort des Mitgefühls für die Verletzten. Der 62-Jährige gab der Regionalregierung und den Wählern die Schuld an den Zwischenfällen. „Die Verantwortlichen sind die, die das Gesetz gebrochen haben“, sagte er trocken.
Der Alarm schrillt inzwischen auch außerhalb Spaniens. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sprach sich dafür aus, dabei zu helfen, „Druck aus dem Konflikt zu nehmen“. Man könne sich aber auch nicht auf die Seite Kataloniens schlagen. „Sonst fliegt uns der Laden um die Ohren.“ Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, verurteile die Gewalt scharf.
Die Frage auf dem Stimmzettel lautete: „Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?“ Die Auszählung wird laut einem Sprecher der Regionalregierung einige Zeit dauern. Bei einem Sieg des „Ja“-Lagers will Barcelona schon bald die Unabhängigkeit ausrufen.