Es ist gerade einmal zwei Wochen her, dass ein vor Selbstbewusstsein strotzender FDP-Chef der SPD ein wenig oberlehrerhaft Ratschläge erteilte. Die Genossen hatten noch am Wahlabend erklärt, mit ihrem schwachen Ergebnis in die Opposition zu gehen. „Eine Partei, die von sich aus jede Gestaltungsoption ausschließt, lässt ihre Wähler alleine“, dozierte Lindner – und gab SPD-Parteichef Martin Schulz mit seiner Strategie noch vier Wochen im Amt.
Folgt man Lindners Logik, dann lässt nun seine FDP in Niedersachsen ihre Wähler alleine. Eine Ampel-Regierung wird ohne jedes Sondierungsgespräch ausgeschlossen, unter anderem mit dem befremdlichen Argument, in Niedersachsen gebe es keine „sozialliberale Tradition“. Da könnten die Liberalen ihre morgen beginnenden Sondierungsgespräche für Schwarz-Grün-Gelb im Bund auch gleich beenden. Aus un-traditionellen Gründen, quasi.
Keine Frage: Im politischen Wettkampf werden auch zwischen Parteien der Mitte tiefe Wunden geschlagen. Doch inzwischen sitzen in den meisten Parlamenten fünf, sechs oder mehr Fraktionen. Zwei-Parteien-Koalitionen werden da zur Ausnahme, weshalb die Protagonisten immer öfter über ihren Schatten springen müssen. Die Zeit der kurzen, einfachen Botschaften endet am Wahltag, danach ist eine andere Gabe gefragt: das Ringen um einen guten Kompromiss. Um mit Lindner zu sprechen: Dieser Verantwortung dürfen sich Politiker nicht einfach entziehen.
Mike Schier
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