Deutsch-türkisches Verhältnis

Altkanzler in geheimer Mission

von Redaktion

Von Michael Fischer und Can Merey

Istanbul/Berlin – Als Bundeskanzler Gerhard Schröder schon abgewählt, aber gerade noch im Amt war, besuchte er im Oktober 2005 noch einmal den damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie trafen sich in Istanbul zum gemeinsamen Fastenbrechen. Eine Woche zuvor hatte die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen, und Erdogan wusste genau, wem er die historische Entscheidung zu einem großen Teil zu verdanken hatte. Schröder habe selbst „in den kritischsten“ Zeiten zur Türkei gestanden, sagte er damals. „Das werden wir nicht vergessen.“ Schröder bezeichnete Erdogan kurz danach als einen „lieben Freund“.

Das Verhältnis scheint von allen aktuellen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen unberührt geblieben zu sein. Es ist offensichtlich immer noch so gut, dass ein Wiedersehen in der Türkei im September den Durchbruch für die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner aus der Haft in der Türkei gebracht haben soll. Am Donnerstagabend kam Steudtner in Berlin an.

Eingefädelt wurde die Vermittlung des Altkanzlers von Außenminister Sigmar Gabriel. Kein Wunder, dass der SPD-Politiker Gabriel als einziger Spitzenpolitiker im Wahlkampf nicht in das Schröder-Bashing wegen dessen Einstiegs beim russischen Energieriesen Rosneft eingestiegen ist. Er verwies schon damals darauf, dass die hervorragenden Kontakte Schröders in Krisensituationen nützlich sein könnten.

Jetzt also die Türkei. Die geheime Mission Schröders soll auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt gewesen sein. Was der Altkanzler genau mit Erdogan besprochen, wie er ihn herumbekommen hat, blieb gestern im Dunkeln. Gabriel äußerte sich nur kurz bei „Spiegel online“: „Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Vermittlung“, sagte er. „Es ist ein erstes Zeichen der Entspannung, denn die türkische Regierung hat alle Zusagen eingehalten. Nun müssen wir weiter an der Freilassung der anderen Inhaftierten arbeiten.“

Gabriels Erleichterung wurde im politischen Berlin parteiübergreifend geteilt. Eine fortdauernde Inhaftierung Steudtners wäre eine Garantie dafür gewesen, dass die Spannungen zwischen Berlin und Ankara noch weiter eskaliert wären. Beendet ist die bilaterale Krise, die zum Dauerzustand zu werden droht, mit der Freilassung des Deutschen aber nicht. Denn mindestens zehn weitere Bundesbürger sind noch aus politischen Gründen in der Türkei in Haft.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte kürzlich erklärt, wie er sich einen Normalisierungsprozess in den deutsch-türkischen Beziehungen vorstellt: als Geben und Nehmen. „Wenn ihr einen Schritt auf uns zugeht, gehen wir zwei auf euch zu.“ Jetzt hat die Türkei den ersten Schritt gemacht. Aus ihrer Sicht wäre jetzt wohl Deutschland an der Reihe. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung ihre im Juli eingeleitete neue Türkei-Politik relativiert. Wahrscheinlicher ist, dass sie den Druck aufrechterhält, bis die anderen Gefangenen frei sind. Alles andere wäre innenpolitisch kaum zu vermitteln.

Vor allem im prominentesten Fall gibt es keinerlei Fortschritte. Gemeint ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. In der Erleichterung über die Freilassung Steudtners droht unterzugehen, dass die türkische Regierung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Fristverlängerung erwirkte, um eine Stellungnahme zu Yücels U-Haft abzugeben. Bislang liegt nicht einmal eine Anklageschrift gegen den deutsch-türkischen Journalisten vor, der seit mehr als acht Monaten hinter Gittern ist. Yücels Fall dürfte am schwierigsten von allen zu lösen sein: Staatspräsident Erdogan hat ihn beschuldigt, ein „Agent“ und „Terrorist“ zu sein – Vorwürfe, hinter die Regierung und Justiz schwerlich zurückfallen können, auch wenn für die Anschuldigungen keinerlei Beweise vorgelegt wurden.

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