Barcelona – Die Macht der Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien fußt auf einer breiten Graswurzelbewegung. Mag Madrid auf die Wirkung von Verfassungsartikel 155 setzen und Katalonien unter Zwangsverwaltung stellen, den katalanischen Freiheitsgeist bekommt die Zentralregierung so schnell nicht wieder eingefangen. Auf friedlichen Widerstand setzen die meisten Aktivisten, wie die Unterstützer von En peu de pau (Aufrecht für den Frieden). Die neu gegründete Gruppe versammelt Studenten, Eltern von Schülern, Gewerkschaftsmitglieder, Hafenarbeiter, Feuerwehrleute – ein Querschnitt der katalanischen Gesellschaft.
Die Aktivisten trainieren bereits den zivilen Ungehorsam, Anleitungen zum Widerstand kursieren: Wie mittels untergehakter Arme eine wirkungsvolle Menschenkette gebildet wird oder mit gekreuzten Beinen ein machtvoller Sitzprotest. Bei Sit-ins sollen die Gewichtigeren am Rand sitzen, um es den Polizisten bei einer Räumung möglichst schwer zu machen. Bei Schlagstockeinsatz: lebenswichtige Organe und Gesicht schützen.
Ganz wichtig seien außerdem Bilder: „Ein Foto ist mehr wert als 1000 Demonstranten“, heißt es in der Anleitung, die dazu aufruft, mit Fotos oder Videos Übergriffe der spanischen Polizeikräfte zu dokumentieren. So wie am 1. Oktober, als Polizisten und Mitglieder der Guardia Civil das vom Verfassungsgericht für illegal erklärte Referendum zu verhindern suchten und dabei mit Gummigeschossen und Schlagstöcken vorgingen.
„Millionen Menschen sind bereit, vor das katalanische Parlament zu ziehen, um zu verhindern, dass der Präsident (Carles Puigdemont) festgenommen wird“, sagt Ruben Wagensberg, Mitgründer von En peu de pau. Daneben gibt es die Komitees zur Verteidigung des Referendums (CDR), die häufig mit der Linkspartei Kandidatur der Volkseinheit (CUP) verbunden sind.
Diese rief für den Fall der von Madrid angekündigten Zwangsmaßnahmen zu einer „massiven Kampagne des zivilen Ungehorsams“ auf. Den Vorstoß der Zentralregierung zur Aktivierung des Artikels 155 der Verfassung bezeichnete die Partei als „größte Aggression“ gegen Katalonien seit der Diktatur von Franco. Die großen Akteure aber sind Omnium Cultural und die Katalanische Nationalversammlung (ANC), deren Anführer, Jordi Cuixart und Jordi Sánchez, wegen „aufrührerischen Verhaltens“ seit Mitte des Monats in Untersuchungshaft sind. Als „politische Gefangene“ werden sie von vielen Katalanen angesehen.
Die ANC organisierte 2012 erstmals eine Massenkundgebung zum katalanischen „Nationalfeiertag“ Diada. Seither strömen alljährlich Hunderttausende zusammen, um am 11. September Slogans wie „Wir sind eine Nation!“ zu singen. Die Kundgebungen erfolgen im Gedenken an den 11. September 1714, als spanische und französische Truppen während des Spanischen Erbfolgekrieges Barcelona eroberten.
Traditionelles Sammelbecken der katalanischen Nationalisten ist die schon 1961 gegründete Kulturvereinigung Omnium Cultural zur Bewahrung der katalanischen Sprache. Heute nimmt Omnium Cultural für sich in Anspruch, die größte Bürgerbewegung Kataloniens zu sein. Sie zählt 75 000 Mitglieder. afp