Jamaika-Sondierungen

Migration ist Chefsache

von Redaktion

Von Jörg Blank und Ruppert Mayr

Berlin – Die Spitzen von CDU, CSU, FDP und Grünen haben den Knackpunkt Migration und Flucht vorerst von der Sondierungs-Tagesordnung genommen und ihn zur Chefsache gemacht. Die Parteichefs seien sich einig, dass die Hürden bei diesem Thema nur in ganz kleiner Runde beiseite geräumt werden könnten, war gestern in Berlin zu erfahren. Mit der Verschiebung soll verhindert werden, dass die Verhandlungen zu den übrigen Sachthemen unnötig ausgebremst werden. Alle Seiten sprachen sich in einer weiteren Beratungsrunde dafür aus, in einem Jamaika-Bündnis die Kommunen und strukturschwachen Regionen stärker zu unterstützen.

FDP-Chef Christian Lindner sagte, Migration und Klimapolitik sollten „erst einmal detailliert im kleinen Kreis besprochen werden“. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann meinte zu den Beratungen, alle Seiten seien sich einig, dass mehr Wohnungen entstehen müssten. „Wir sind uns einig, dass wir starke Kommunen wollen in Ost und West, und dass wir dafür einiges tun wollen“, sagte er. „Das war schon ein ziemlicher Konsens.“ Die Atmosphäre sei „gut und konstruktiv“.

Die Parteichefs der möglichen Jamaika-Partner hatten sich erneut zu einer vertraulichen Spitzenrunde getroffen, diesmal im Kanzleramt. Dabei dürfte es auch um die Frage gegangen sein, wie man in umstrittenen Kernthemen wie Klimaschutz oder Migration Fortschritte erzielen kann.

Heute wollen die Unterhändler über die Themen „Außen, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Handel“ und „Familie, Frauen, Senioren, Jugend“ diskutieren. Die für das große Streitthema „Klima, Energie, Umwelt“ zuständige kleinere Runde soll ebenfalls nach Lösungen suchen, nachdem das Thema am Donnerstag vergangener Woche zu heftigem Streit führte und ohne Ergebnis vertagt worden war. Ein Knackpunkt ist hier der von den Grünen verlangte Kohleausstieg.

Lindner hielt den Grünen vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig zu sein. Ihre Position sei „ein Konjunkturprogramm für die AfD“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Der Familiennachzug müsse ausgesetzt bleiben, „weil wir in Schulen und beim Wohnen an der Grenze sind“.

Mit der FDP werde es auch keine Fahrverbote für Diesel geben, bekräftigte Lindner beim Thema Verkehr. Man müsse sich „notfalls bei noch strengeren EU-Grenzwerten mehr Zeit lassen“. Die Luft sei „schon so gut“. Der Verkehr solle durch Elektrifizierung und Digitalisierung ökologischer gemacht werden, etwa mit intelligenten Verkehrsleitsystemen. Der FDP-Chef begrüßte, dass die Grünen ihre Forderung nach einem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 in den Verhandlungen bisher nicht „ernsthaft vorgetragen“ hätten.

Bei den Gesprächen zum Thema Landwirtschaft und Verbraucherschutz wurde gestern nach Angaben aus Teilnehmerkreisen heftig gestritten. Robert Habeck (Grüne) aus Schleswig-Holstein habe plädiert, zunächst keine gemeinsamen Agrar-Leitlinien zu Papier zu bringen. Daraufhin habe CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ihm eine destruktive Verhandlungsführung vorgeworfen und erklärt, der Grüne habe schon vergangene Woche ein Papier zu Klima und Energie verhindert. Habeck ist Verhandlungsführer der Grünen beim Thema Landwirtschaft. „Scheuer ist immer beleidigt, wenn man mal eine andere Meinung hat“, sagte er. Dies sei „nervig“. Im Anschluss bemühten sich beide Seiten um Deeskalation: Der Streit sei nur halb so schlimm gewesen.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte von der künftigen Regierung ein Herauslösen der Zuständigkeiten für Verbraucherschutz aus dem Agrarministerium. „Die Interessenkonflikte in einem Ministerium, das gleichzeitig sowohl für die Lebensmittel- und Landwirtschaft als auch für Verbraucherschutz zuständig ist, sind unüberwindbar“, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. Er verlangte zudem, Obst und Gemüse künftig von der Mehrwertsteuer zu befreien.

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