Barcelona – Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat erstmals seit der Kontrollübernahme in Katalonien die Regionalhauptstadt Barcelona besucht. Dort hatten am Samstagabend Hunderttausende Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung bei einer Großdemonstration Solidarität mit der abgesetzten Regionalregierung bekundet. Dabei forderten sie den Abzug der „Besatzungsmacht“ aus Madrid und die Freilassung von acht abgesetzten Ministern, die Anfang November in Untersuchungshaft genommen worden waren.
Die Teilnehmer trugen Schilder mit der Aufschrift „Freiheit für die politischen Gefangenen“ oder „SOS Demokratie“. Viele schwenkten die „Estelada“, die Flagge der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Auch Angehörige der inhaftierten Politiker nahmen an der Demo teil. Zu der Großkundgebung hatten die Bürgerinitiative Katalanische Nationalversammlung (ANC) und der Kulturverein Omnium Cultural aufgerufen. Die Chefs der beiden Organisationen sitzen ebenfalls in Untersuchungshaft. Laut Polizei gingen etwa 750 000 Menschen auf die Straße.
Auf Anordnung Madrids finden in Katalonien am 21. Dezember Neuwahlen statt. Ministerpräsident Rajoy nahm in Barcelona an einer Veranstaltung seiner konservativen Volkspartei (PP) teil, bei der die Kandidaten für die Abstimmung vorgestellt wurden. „Katalonien ist Spanien und Spanien ist Katalonien“, erklärte Rajoy unter dem Applaus seiner Parteikollegen.
In seiner Rede forderte er die so genannte „schweigende Mehrheit“ auf, bei der Wahl ihre Stimme abzugeben – und dabei ihrer Ablehnung einer Abspaltung der Region von Spanien Ausdruck zu verleihen, damit dort wieder Normalität einkehren könne. Eine Mehrheit der Katalanen ist gegen die Unabhängigkeit, jedoch verschafft sie sich seit Monaten weniger Gehör als die Befürworter der Trennung.
Laut einer von der Zeitung „El País“ in Auftrag gegebenen Umfrage begrüßt ein Großteil der Bevölkerung die Neuwahlen. 76 Prozent der Spanier und 69 Prozent der Katalanen befürworten demnach die vorgezogene Abstimmung. 54 Prozent der Spanier erklärten zudem, sie seien zufrieden mit Rajoys Krisenmanagement.
Auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, die gegen eine Abspaltung der Region von Spanien ist, nahm an dem Protest teil. Sie erklärte: „Wir fordern die Freilassung der Inhaftierten – aber auch, dass die verantwortungslose Regionalregierung, die das Land ins Desaster geführt hat, dazu steht.“
Der ehemalige Chef der katalanischen Regierung schickte eine Videobotschaft an die Demonstranten. Er hatte sich noch vor der Anklageerhebung zusammen mit vier weiteren Politikern nach Brüssel abgesetzt. Jedoch droht den fünf die Auslieferung. Puigdemont erklärte: „Sicherlich werden wir auch in Brüssel oder im Gefängnis Ihren Schrei hören. Vielen Dank.“
Viele der Politiker, die inhaftiert sind oder sich nach Belgien abgesetzt haben, werden voraussichtlich bei der Neuwahl als Kandidaten aufgestellt – so etwa Oriol Junqueras, Puigdemonts früherer Vize. Das gab dessen Partei ERC am Samstag bekannt. Auch Puigdemont selbst hat bereits erklärt, er wolle sich als Kandidat zur Verfügung stellen. dpa