München – Die Basis ist zu ehrlich, um ruhig zu sein. Montagabend im Gasthof Geiger in Geretsried – die Bayern-SPD möchte eigentlich nur Ehrenamtliche auszeichnen. Es ist aber auch der Tag, an dem Parteichef Martin Schulz eine Große Koalition erneut ausgeschlossen hat. Der Landtags-Fraktionssprecher Markus Rinderspacher legt im Gasthof nach: „Es wird wohl nichts anderes übrig bleiben als Neuwahlen.“ Das sehen manche der 50 Gäste ganz anders. Sie wollen Gespräche mit der Union.
Es knirscht an der Basis der SPD – viele Mitglieder sind unzufrieden mit dem Schulz-Schnellschuss. „Es war nicht glücklich, gleich die Rote Karte zu zeigen“, sagt Wolfgang Werner. Der Kreisvorsitzende (Bad Tölz-Wolfratshausen) war auch im Gasthof. „Seitdem hat sich ein bisschen was gewandelt“, sagt er. Die jüngsten Rückmeldungen aus den Ortsverbänden: „Die einen wollen Neuwahlen, die anderen Koalitionsverhandlungen – 50 zu 50.“ Und Werner selbst? Die SPD habe nun eine bessere Verhandlungsposition und solle Sondierungsgespräche führen, sagt er. „Die Union muss uns jetzt Fleisch bieten.“ Heißt: Ministerposten, vor allem aber inhaltliche Zugeständnisse. „Dann könnten wir als Gewinner dastehen.“
Gewinner bei Union und SPD kann sich Dominik Streit, Vorsitzender im Kreis Weilheim-Schongau, schwer vorstellen. „Vielleicht müsste Schulz den Weg frei machen“, sagt er, „aber einen Wechsel bräuchte es dann auf beiden Seiten.“ Verhandlungen ohne Merkel und Schulz – „das würde die Chancen erhöhen“. Dennoch betont Streit: „Schulz genießt an der Basis immer noch einen breiten Rückhalt.“ So hört es sich auch an, wenn man andere Kreisvorsitzende Oberbayerns fragt. Uneinig sind sie sich nur darüber, was die SPD eigentlich möchte: Koalitionsgespräche? Minderheitsregierung? Neuwahlen?
Eine bislang eher unbeachtete Möglichkeit favorisiert Thomas Schneider (Vorsitzender SPD Miesbach): Ein Kenia-Bündnis. In einer solchen Koalition aus Union, SPD und Grünen würden die Machtverhältnisse nach links gerückt werden, sagt Schneider. „Das könnte halten und jeder würde sein Gesicht wahren.“ Egal, wie es ausgeht: Partei-Chef Schulz stehe sicher da. „Er hat klare Kante gezeigt, das findet die gesamte Basis gut.“
Sein „Nein“ zur Großen Koalition brachte Schulz zwar einstimmig durch den Parteivorstand – nach dem Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag dürfte der SPD-Chef aber nachdenken, wie er eine Wende nach außen hin verkaufen kann.
Die Situation jetzt sei undankbar für die SPD, sagt Puchheims (Kreis Fürstenfeldbruck) SPD-Bürgermeister Norbert J. Seidl. Er spricht sich für Koalitionsgespräche aus, die SPD müsse ihre Kernpunkte deutlich zeigen. Seidl sieht für Schulz auch eine Überlebensfrage.
Sie sprechen ihm in den Landkreisen Oberbayerns aber das Vertrauen aus. Er soll Verhandlungen führen, heißt es aus Erding. „Er hat mich bei Begegnungen beeindruckt, ist authentisch, wenn er von sozialer Gerechtigkeit spricht“, sagt Ulla Dieckmann vom dortigen Kreisvorstand. Und das schnelle „Nein“ zur Großen Koalition? „Vielleicht auch Taktik – um das Bestmögliche herauszuholen.“ Nun müsse man Gespräche führen. „Alles andere wäre unverantwortlich, das dankt uns keiner.“
Andere sprechen sich gegen eine Große Koalition aus. „Söder, Scheuer, Dobrindt – da sehe ich keinen verlässlichen Partner“, sagt Christian Winklmeier aus Gilching (Kreis Starnberg). Die SPD brauche Zeit zum Nachdenken. „Eine Minderheitsregierung hat Charme. Da wird über einzelne Themen wieder intensiver gerungen.“
An der Basis argumentieren sie kräftig – pro Koalitionsverhandlungen, pro Minderheitsregierung. Nur beim Wort Neuwahl zucken die meisten zusammen. Ein Bundestagswahlkampf neben dem Landtagswahlkampf? Nicht zu stemmen. S. Raviol, T. Steinhardt