München – An diesem greislichen Adventssonntag, draußen zugig und eiskalt, drinnen eine Abfolge schwieriger Krisensitzungen, bemüht sich die CSU-Regie redlich um weihnachtliche Dekoration. Plätzchen und Glühwein stehen in der Parteizentrale bereit, sogar ein Adventskranz. Ja, und ein Türchen geht auf, allerdings ein riskantes: Das Hintertürchen ist sperrangelweit offen. Im direkten Sinn, weil die meisten Politiker den Nebeneingang ins von Kameras belagerte Gebäude nehmen, selbst der sonst nicht von Schüchternheit geplagte Markus Söder. Und im politischen Sinn, weil am Ende viel Raum für Spekulationen bleibt.
In mehreren der vielen Runden im ersten Stock, Raum „Große Lage“, spricht Horst Seehofer erstmals seine Bereitschaft aus, Macht zu teilen. Er klebe und hänge nicht an Ämtern, zitieren ihn Parteifreunde aus einem Oberbayern-Treffen. Später sagt er konkret: Als Ministerpräsident würde er abtreten, wenn es der Partei nützt, und zwar vorzeitig im Frühjahr.
In der CSU-Personaldebatte ist das der Durchbruch. Denn sobald Seehofer die Staatskanzlei räumt, wird Finanzminister Markus Söder mit aller Macht um dieses Amt kämpfen. Weil die Landtagsfraktion, seine größten Fans, den Ministerpräsidenten wählen darf, wird Söder kaum zu stoppen sein. Seehofers Signal zum Verzicht beinhaltet also die Botschaft: Wenn es sein muss, dann halt der. „Ihm ist klar, dass der Nachfolger der Markus sein wird“, sagt ein Vertrauter: „Er akzeptiert’s.“
Dafür setzen sich beim zweiten Posten Söder-Skeptiker durch. CSU-Vorsitzender soll der ehrgeizige Franke nicht werden. Weil kein natürlicher Nachfolger dasteht (weder Manfred Weber noch Alexander Dobrindt) überreden oberbayerische Abgeordnete Seehofer in langen Gesprächen, auf dem Parteitag in elf Tagen nochmal anzutreten. Er sei „der stabilisierende Faktor an der Spitze der CSU“, sagt die Bezirksvorsitzende Ilse Aigner. In ihrem Bezirksvorstand, der innigste Söder-Freunde wie erbitterte Gegner vereint, widerspricht keiner.
Auch die Ehrenvorsitzenden reden ausdauernd auf Seehofer ein. Theo Waigel ruft sogar von einer Auslandsreise aus New York lange an, was eine satte Handyrechnung geben dürfte. Edmund Stoiber setzt in einem der Gremien zu einer halbzeitfüllenden Ansprache voller Fußballvergleiche an – die er dann wählt, wenn ihm ein Thema wichtig ist. Das Spiel sei nicht aus, sagt Stoiber, die zweite Hälfte komme noch. Und, etwas verklausuliert: Da sei der beste Mittelstürmer doch unverzichtbar.
Stoibers Auftritt zielt tief in die CSU hinein. Er ist ja einer der zentralen Söder-Ratgeber und fest davon überzeugt, dass mit Seehofer als Spitzenkandidat im Herbst 2018 keine absolute Mehrheit mehr möglich wäre. Dass er den aktuellen Regenten dennoch an der Parteispitze halten will, ist eine von vielen Brücken, die jetzt über die CSU-Gräben gebaut werden könnten.
Seehofer wirkt an diesem Wochenende ruhig, nachdenklich, ein bisschen erschöpft auch. Von der „kollektiven Intelligenz“ der Partei redet er, der sonst viele andere für „Kleinstrategen“ hält. So viel Konflikt gebe es, „aber nur eine Lösung im Konsens“. Einen Zettel zeigt er abends kurz, behauptet, er habe alle 15 Streitfragen darauf abgehakt. Das mag übertrieben sein. Er kann nun aber halbwegs selbstbestimmt weitermachen und, wenn er will, im Frühjahr in die Bundesregierung einrücken. Dann müsste er als Ministerpräsident zurücktreten. Hier liegt allerdings eines der Hintertürchen. Falls keine neue Regierung zustande kommt, oder falls Seehofer doch die Lust auf Berlin verliert, kann man ihn nur sehr mühsam vor 2018 aus dem Amt zwingen.
Mit noch einem Szenario trösten sich Söders Gegner. Auch wenn der Franke bald Regierungschef werde – Koalitionsverhandlungen nach der Wahl im Herbst führe Parteichef Seehofer. Falls da ein Koalitionspartner vorschlage, man könne gern regieren, aber ohne diesen Söder – der Adventsfriede von 2017 wäre dann schnell vergessen.