München – Meinungsforscher Joachim Schulte und seine Kollegen haben die Situation der gut drei Millionen türkeistämmigen Menschen in Deutschland untersucht. Der Befund: Die meisten Deutschtürken fühlen sich gut integriert und sind zufrieden. Aber es gibt auch Probleme.
-52 Prozent der Deutschtürken finden, dass sich das Verhältnis zu ihren deutschen Mitbürgern verschlechtert habe. Warum?
Als häufigsten Grund nennen die Befragten die politischen Auseinandersetzungen zwischen deutscher und türkischer Regierung. Der zentrale Punkt dabei ist die mediale Berichterstattung. Denn die meisten Türkeistämmigen beziehen ihre Information aus dem türkischen Fernsehen.
-Was ist mit deutschen Sendern?
Die schauen nur 10 bis 15 Prozent. Auch deshalb plädiere ich für einen deutsch-türkischen Sender à la „Arte“. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist da in der Pflicht.
-Vor einigen Jahren noch galt türkisches Fernsehen als sehr unpolitisch, von Seifenopern geprägt. Das hat sich also geändert?
Ein wenig schon. Türkische Fernsehsender sind mittlerweile sehr stramm auf Erdogan-Linie gebracht worden. Oppositionelle Medien gibt es in der Türkei kaum noch, spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch ist das alles gleichgeschaltet.
-Mit spürbaren Folgen: Laut ihrer Studie teilen nur 12 Prozent der Deutschtürken vollumfänglich die Kritik der Bundesregierung an Erdogan.
Dieser kritische Teil ist im Bereich der besser Gebildeten zu verorten. Unter den Türkeistämmigen war diese Gruppe übrigens auch die einzige, die beim Referendum im Frühjahr mehrheitlich gegen Erdogans Präsidialsystem war.
-Man kann also sagen: Je höher die Bildung, desto kritischer der Blick auf Erdogan?
Ja. Der Umkehrschluss lautet: Je geringer die Bildung, desto geringer ist der Integrationsstand. Und desto höher sind Sympathie und Bewunderung für Erdogan.
-Dennoch haben über 70 Prozent der Deutschtürken bei der Bundestagswahl Parteien gewählt, die Erdogan heftig kritisieren. Ein Widerspruch?
Nur auf den ersten Blick. Denn Erdogans Aufforderung, weder Union noch SPD oder Grüne zu wählen, hat durchaus gefruchtet. Die Wahlbeteiligung bei den Türkeistämmigen ist um 20 Prozent eingebrochen, auf nur noch gut 50 Prozent. Auch die SPD hat bei dieser Bevölkerungsgruppe deutlich verloren, von über 60 auf rund 45 Prozent. Dazu kommt der Achtungserfolg der Erdogan-nahen Partei ADD, die nur in Nordrhein-Westfalen angetreten ist – und dort über 40 000 Stimmen geholt hat.
-Lange ging man davon aus, dass Integration in der zweiten oder dritten Generation einfacher wird. Gilt das noch?
Schwierige Frage. In unserer Studie haben wir nur gefragt, ob man in Deutschland geboren ist oder nicht, unterscheiden also nicht zwischen zweiter und dritter Generation. Aber tatsächlich: Auch in der jüngeren Generation gibt es politisch eine zunehmende Bindung an die Türkei. Das ist erstaunlich.
-Gibt es eine Erklärung?
Die Jüngeren haben ein sensibleres Gespür für Diskriminierung, auch weil sie mehr Kontakt zur deutschen Gesellschaft haben als die eigenen Eltern oder Großeltern. Und im Gegenzug wird honoriert, dass Erdogan die Türkeistämmigen in Deutschland umgarnt.
-Mit welchen Folgen?
Das Informationsmonopol vonseiten der türkischen Regierung kann man auf Dauer eigentlich nicht akzeptieren. Das wird hier sonst zu sozialen Spannungen führen.
Interview: Maximilian Heim