SPD

Selbstzweifel-Partei-Deutschlands

von Redaktion

Von Tim Braune und Georg Ismar

Berlin – Martin Schulz muss selbst noch mal ran. Die Parteigranden haben mit großer Nervosität zugeschaut, wie die „No-GroKo“-Jusos in der ewig langen Redeschlacht scharf und analytisch mit ihren Bedenken auftrumpfen. Kommt es zum Gau für Schulz?

Um 18.33 Uhr geht der Parteichef ans Rednerpult und ins volle Risiko. „Ich bitte Euch, nicht dem Vorschlag von Kevin zu folgen. Gebt uns diese Chance“, ruft Schulz. Kevin, das ist der neue Jusos-Boss Kevin Kühnert. Der junge Berliner schwingt sich beim Parteitag zum großen Gegenspieler von Schulz auf. Er wolle, dass „noch was übrig ist von dem Laden“, wenn der Nachwuchs mal die Geschäfte führen werde. „Vielleicht“, sagt der 28-Jährige zu Schulz, „war es doch nicht der beste Wahlkampf aller Zeiten und auch mal nicht das beste Wahlprogramm seit Willy Brandt.“

Jetzt am Abend, da der Moment der Entscheidung naht, begeht Schulz nicht den Fehler von Sigmar Gabriel. Der machte die Jusos 2015 nieder, als sie wagten, den damaligen Chef infrage zu stellen – die Quittung waren 74 Prozent für Gabriel. Stattdessen sagt Schulz den „GroKo“-Widersachern: „Das war eine Debatte auf hohem Niveau, geprägt von gegenseitigem Respekt.“

Dann teilt er noch gegen seinen einstigen „Freund“ Gabriel aus: „Die Zeiten, wo ein Parteivorsitzender hier Stallordern ausgegeben hat, die sind vorbei.“ Schulz will die „GroKo“-Gegner nicht knechten, sondern umarmen. Als Beruhigungspille übernimmt die SPD-Spitze in letzter Minute den Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen, im Januar auf einem Sonderparteitag (und nicht hinter verschlossenen Türen) über mögliche Koalitionsverhandlungen mit der Union abstimmen zu lassen.

Die Rechnung geht auf. Mit großer Mehrheit sagen die Delegierten Ja zu „ergebnisoffenen Gesprächen“. Und dann steht Schulz selbst zur Wahl. Wie stark wird er für den Absturz bei der Bundestagswahl auf historisch schlechte 20,5 Prozent abgestraft? Der Ex-Buchhändler aus Würselen, der im März noch auf 100 Prozent kam, bekommt nun 81,9, wohl ein ehrliches Ergebnis.

Schon am Vormittag hatte Schulz in seiner Rede auf das Prinzip Demut gesetzt. Ihm steckten wie allen in der Partei die 20,5 Prozent in den Knochen. Er wisse, viele Menschen in und außerhalb der SPD seien von ihm enttäuscht. „Weil ich all das weiß, bitte ich für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung.“ Nun wolle er helfen, dass alles besser werde.

Knapp 80 Minuten später weiß trotzdem niemand so richtig, wie die Strategie des Vorsitzenden für die Partei aussieht. Die ganze SPD wirkt derzeit wie eine Partei ohne Plan. Symptomatisch dafür steht der Eiertanz um die Große Koalition. Dem Bürger kann kaum vermittelt werden, was man genau will. Jetzt fordert man etwa einen Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränkten Schutz – dabei sagen führende Genossen, dass wenig die „kleinen Leute“ so verunsichert wie das Flüchtlingsthema. Und die Union wird da kaum mitmachen. Es werden die Vereinigten Staaten von Europa gefordert und eine einheitliche Krankenversicherung, gegen die die Union Sturm läuft.

In der SPD wird ohnehin nicht mit einer Regierung vor März gerechnet – auch weil es einen zwei Millionen Euro teuren, bis zu drei Wochen dauernden Mitgliederentscheid geben würde. Jetzt kommt noch ein Sonderparteitag obendrauf, Kostenpunkt: eine weitere Million.

Intern rumort es sowieso. Olaf Scholz treibt Schulz vor sich her, ohne ihn zu stürzen. Da stänkert Fraktionschefin Andrea Nahles gegen Außenminister und Umfrage-Liebling Gabriel, auch zwischen Schulz und Gabriel geht nicht mehr viel. Einer der fähigsten Politiker der SPD könnte auf dem Abstellgleis landen.

Schulz geht in Berlin noch nicht mal darauf ein, warum in der „GroKo“-Frage eine 180-Grad-Wende hingelegt wurde. Die Zweifel, ihm jetzt zu folgen, sind bei den Genossen nicht kleiner geworden. Er ist Vorsitzender der „Selbstzweifel- und Soufflé-Partei-Deutschlands“.

Ganz anders Andrea Nahles. Sie zeigt Führungswillen. „Mich springt hier Angst an“, empört sie sich über die aus ihrer Sicht weinerliche Partei, die Angst habe, sich „auf dem Altar des Regierens“ zu opfern. Den „GroKo“-Gegnern rief sie zuvor zu, es sei doch chancenreich, mit einer angezählten Kanzlerin zu reden. „Die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur. Und das wird ganz schön teuer!“

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