Sondierung von Union und SPD

Unterhändler unter Druck

von Redaktion

Von Georg Ismar

Berlin – Der Auftritt am Ende darf nicht fehlen, mit weißen Hemden und roten Halstüchern stehen die „Vorwärts-Liederfreunde“ auf der Parteitagsbühne. Sie intonieren „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“, in dem SPD-Klassiker heißt es: „Mit uns zieht die neue Zeit.“ Nur eine Frage bleibt dabei offen: Was ist anno 2017 die neue Zeit? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte nach diesem Parteitag des Vielleicht-Wieder-Koalitionspartners eine Ahnung haben, wie schwer diese Operation werden dürfte.

Elf Punkte hat die SPD formuliert. Das sind keine „roten Linien“, aber zumindest Kernthemen. Die wichtigsten: Arbeitsverhältnisse sollen nicht länger ohne triftige Gründe befristet werden. Wer vorübergehend in Teilzeit arbeitet, muss einen Rechtsanspruch bekommen, um auf eine Vollzeitstelle zurückkehren zu können. Für Familien und die Pflege von Angehörigen soll ein neues Familiengeld eingeführt werden. Bildung soll kostenfrei werden von der Kita bis zur Uni oder zum Meisterbrief. Das Kooperationsverbot im Grundgesetz soll fallen. Geplant ist zudem eine große Gesundheits- und Pflegereform. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten gezahlt werden und auch Beamte und wohlhabende Bürger einzahlen.

In der Steuerpolitik will die SPD Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen stärker entlasten, höchste Einkommen und Vermögen belasten. Der soziale Wohnungsbau soll ausgeweitet werden. Nach der weitgehend wirkungslosen Mietpreisbremse soll ein neues Gesetz die Rechte der Mieter stärken. Die SPD will zudem ein modernes Einwanderungsgesetz, das den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte ermöglicht. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, erhalten weiterhin Schutz. „Eine Obergrenze, die diesen Grundsatz in Frage stellt, lehnen wir ab.“ Und: Die temporäre Aussetzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen soll nicht verlängert werden.

Nach der SPD steckt am Sonntagabend auch der CDU-Vorstand den Kurs ab, Unions-Fraktionschef Volker Kauder betont, die Stärkung von Polizei und Justiz sei wichtiger als Steuersenkungen – eine Antwort auf die zunehmende Unsicherheit bei den Bürgern in einer nervösen Republik. Damit könnte die SPD auch gut leben, aber es kristallisiert sich nach dem SPD-Beschluss für „ergebnisoffene“ Gespräche mit der Union ab Mittwoch heraus, dass die Konfliktlinie vor allem zwischen SPD und CSU verlaufen könnte. Der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder streut gleich etwas Salz an die Adresse der SPD: „Bürgerversicherung und Steuererhöhungen sind doch nicht die Antworten auf die drängenden Fragen“, sagt er der „Welt am Sonntag“.

SPD-Chef Martin Schulz reagiert beim Parteitag in Berlin im Schlusswort dünnhäutig auf Kommentare aus der CSU, die SPD komme endlich aus ihrer Schmollecke. „Wir sitzen nicht in einer Schmollecke, aber Ihr habt den Karren an die Wand gefahren“, koffert Schulz zurück. Er steht unter Druck. Scheitert er bei der Mission GroKo und kommt es auch nicht zu der von vielen in der SPD favorisierten, aber von Merkel nicht gewollten Minderheitsregierung, dann drohen Neuwahlen. Im Hintergrund lauern schon einige, um Schulz trotz seiner Wiederwahl mit 81,9 Prozent dann doch noch zu stürzen. Dann liefe es womöglich – trotz eines Denkzettels bei der Wiederwahl zum SPD-Vize (59,2 Prozent) – auf Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zu, er gilt auch als aussichtsreicher nächster Kanzlerkandidat.

Ab Mittwoch treffen sich Unterhändler der Großen Koalition, um einen Plan für die Gespräche auszuloten.

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