Spitzentreffen

Geheimsache Große Koalition

von Redaktion

von Georg Ismar und Jörg Blank

Berlin – Martin Schulz kommt gut vorbereitet zu dem fast schon historischen Treffen mit Angela Merkel und Horst Seehofer. Mit dem Handy am rechten Ohr trifft der SPD-Chef am Mittwochabend im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags ein. In der linken Hand ein graugrüner Ordner: „Vorbereitungsmappe. Treffen mit A. Merkel, H. Seehofer, V. Kauder, A. Nahles“, steht auf dem Aufkleber. Gemeinsam mit Merkel, Seehofer und den Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD versucht Schulz, einen Ausweg aus der verfahrenen Regierungsbildung zu finden.

Vor dreieinhalb Wochen waren die Jamaika-Sondierungen geplatzt. Seit der Bundestagswahl sind 80 Tage vergangen – so lange, wie zuvor noch nie bis zu einer Regierungsbildung. Martin Schulz hatte einer neuen Großen Koalition zweimal eine Absage erteilt – dann schritt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) ein. Jetzt also doch die Sechser-Runde in den Räumen von Unionsfraktionschef Volker Kauder, für die CSU ist neben Seehofer Landesgruppenchef Alexander Dobrindt anwesend.

Beide Seiten kommen zuvor zu getrennten Vorbesprechungen zusammen – in Räumen, die direkt übereinander liegen. Merkel, Schulz und Seehofer haben ihre Mitarbeiter zur Geheimhaltung verdonnert. Nicht einmal die Zeit, geschweige denn der Ort des Treffens sollten vorab bekannt werden. Auch über das Ergebnis wurde striktes Stillschweigen vereinbart. Union und SPD wollen unbedingt die Fehler der Jamaika-Gespräche vermeiden, als aus der teils mehr als 50 Verhandler starken Sondierungsrunde regelmäßig getwittert oder Zwischenergebnisse durchgestochen wurden. Bei der ersten Verhandlungsrunde geht es um Vertrauensbildung – und um einen Kompass.

Die Stimmung zwischen Union und Sozialdemokraten ist angespannt, auch weil der Kurs der SPD unklar ist. Parallel wird dort ein Wahlkampf für eine vorgezogene Neuwahl vorbereitet. Horst Seehofer vergleicht die SPD kurz vor dem ersten Treffen mit einer „Krabbelgruppe“ – wegen des jüngsten Vorschlags der SPD-Linken, eine Art offene Koalitionsehe einzugehen, wo beide Seiten eigene Lieblingsprojekte auch mit anderen Parteien gegen die Koalitionsräson durchsetzen dürfen. „Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren“, moniert Seehofer. In der SPD sorgen die Sätze für Ärger. Am Freitag will die SPD entscheiden, ob Sondierungen aufgenommen werden.

CDU und CSU hatten sich nach dem Treffen bereits dafür ausgesprochen. Die Union weiß, was sie will: eine Große Koalition für vier Jahre. Sie wäre für Merkel eine Art politische Lebensversicherung. Bei einer Minderheitsregierung müsste sie ständig im Bundestag um Mehrheiten ringen. Bekommt sie diese nicht, wären wohl eine rasche Vertrauensfrage im Bundestag und eine Neuwahl die Folge.

Schulz und Nahles brauchen aus dem Treffen mit Merkel, Seehofer und Co. ein paar Hinweise, was möglich sein kann. Das wissen sie auch in der Union. Man werde zwar wohl noch nicht konkret verhandeln, aber vielleicht doch schon Grundsätzliches ansprechen, heißt es vor dem Gespräch. Schließlich könne Schulz am Freitag nicht mit leeren Händen in seinem Parteivorstand auftauchen.

Vielleicht hilft es bei der Suche nach neuem Vertrauen ein wenig, dass Schulz und Nahles auf ihrem Weg zur Union eine bewährte Spezialverbindung zwischen den Stockwerken von CDU und SPD nehmen. Die SPD-Spitze kommt nicht über den Aufzug und auch nicht über den gut einsehbaren Lichthof. Sie nutzt eine zweite, im Inneren des Gebäudetraktes liegende Treppe. Die hatte Kauder immer genommen, wenn er mit seinem vor fast genau fünf Jahren gestorbenen SPD-Freund Peter Struck schnell mal etwas absprechen wollte. Beide gelten als die Garanten der Einigkeit in Merkels erster Großer Koalition.

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