Heftige Kritik am Umgang mit Terror-Opfern in Berlin

von Redaktion

Beauftragter Kurt Beck listet etliche Mängel und Geschmacklosigkeiten auf – Neue Strukturen gefordert – Angehörige erhalten mehr Geld

Berlin – In der Nacht nach dem Berliner Terroranschlag fuhren verzweifelte Angehörige von Krankenhaus zu Krankenhaus, um Angehörige zu finden. Lange Ungewissheit gab es auch, weil Tote zum Teil erst nach drei Tagen identifiziert waren, obwohl sie einen Ausweis bei sich hatten. Nach der Obduktion wurden Rechnungen an Hinterbliebene gleich mit einem Mahnhinweis verschickt. Das seien furchtbare Erfahrungen gewesen, die sich nicht wiederholen dürften, sagte der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, am Mittwoch in Berlin.

Bei der Vorstellung seines Abschlussberichts zu den Opferhilfen ein Jahr nach dem Anschlag machte der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz seine Empathie für die Betroffenen deutlich. Ihre Gefühlslage beschrieb er als „Mischung aus Schmerz, Entsetzen und Wut“. Beck legte zugleich handfeste Vorschläge für eine bessere Unterstützung von Terroropfern, Gesetzesänderungen und eine neue Struktur der Hilfen vor. Deutschland sei auf einen solchen Anschlag nicht wirklich vorbereitet gewesen.

Kernpunkte sind höhere Entschädigungen und der Aufbau zentraler Anlaufstellen für Opfer auf Bundes- und Landesebene. Berlin hat eine solche Stelle bereits eingerichtet. Härteleistungen von 10 000 Euro für einen nahen Angehörigen seien deutlich zu niedrig, betonte Beck. Ausländische Opfer dürften nicht anders gestellt sein als deutsche.

Beim bislang schwersten islamistischen Anschlag in Deutschland waren am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet und laut Beck annähernd 100 Menschen verletzt worden. Der Attentäter Anis Amri war mit einem gestohlenen Laster in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. Er wurde einige Tage später auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen.

Den 35 Seiten umfassenden Bericht habe er am Morgen im geschäftsführenden Bundeskabinett vorgestellt, berichtete Beck. Seine Vorschläge seien auf offene Ohren gestoßen, es sei eine positive Prüfung zugesagt worden. Er gehe davon aus, dass das Opfer-Entschädigungsgesetz novelliert wird.

Der amtierende Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) begrüßte die Vorschläge. Eine zentrale Anlaufstelle sollte die Anliegen von Betroffenen bündeln und Hilfen organisieren. Maas sagte: „Die Bundesregierung darf die Verletzten und Hinterbliebenen eines Anschlags nicht alleinlassen.“ Es gebe Einigkeit, dass mehr Geld für Entschädigungen bereitgestellt werden solle. Bislang seien zwei Millionen Euro ausgezahlt worden.

Gerade in den ersten Wochen nach dem Anschlag hatten Hinterbliebene und Verletzte Behörden-Wirrwarr und fehlende Aufmerksamkeit beklagt. Zuletzt hatten Angehörige der Toten in einem offenen Brief Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Untätigkeit und Versagen vorgeworfen. Und sie zeigten sich verbittert, dass Merkel nicht persönlich kondoliert habe.

Beck äußerte sich zurückhaltend. Er sei nach Gesprächen mit der Kanzlerin sicher, dass Lehren gezogen wurden. Das sei nicht durch Vorschriften zu regeln. Die Stimmungslage der Betroffenen habe er dem Kanzleramt mehrmals „zur Kenntnis gegeben“. Viele hätten staatliche Anerkennung des Leids der Menschen vermisst. In Frankreich oder Israel sei die staatliche Anteilnahme höher bewertet worden.

Die schmerzhaften Gefühle der Angehörigen seien nicht wegzuwischen, unterstrich Beck. Doch er hatte auch eine gute Nachricht: Viele Spenden und Anrufe zeugten „von der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft“.

An dem Treffen der Kanzlerin mit Hinterbliebenen und Verletzten am 18. Dezember im Kanzleramt nimmt Beck teil. Am ersten Jahrestag des Anschlags wird zudem an der Gedächtniskirche ein Mahnmal enthüllt. Jutta Schütz

Artikel 7 von 11