Österreich

Schwarz-blauer Rechtsruck

von Redaktion

Von Matthias Röder und Sandra Walder

Wien – Ein ehemaliger Grünen-Chef vereidigt als Staatsoberhaupt eine Koalition aus Konservativen und Rechtspopulisten – und wirkt dabei ganz entspannt. Der 73-jährige Alexander Van der Bellen, bis vor einem Jahr noch ein scharfer Kritiker der rechten FPÖ, geht an diesem Montag auch mit FPÖ-Chef Heinz-Christan Strache als neuem Vizekanzler freundlich um. Ein Handschlag, der fast freundschaftlich wirkt.

„Kooperativ“ und „lösungsorientiert“ habe er auch die FPÖ in den Koalitionsgesprächen erlebt, meint Van der Bellen, der Einfluss auf das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ genommen hat. Die Botschaft: Die Wähler wollten dieses Bündnis, also hat es eine Chance verdient. Um 11.15 Uhr ist Sebastian Kurz am Ziel. Er ist Kanzler und mit 31 Jahren jüngster Regierungschef in Europa. „Ich gelobe“, sagt der auch in diesem Moment ganz cool wirkende ÖVP-Chef.

Bei aller Freundlichkeit nutzt Van der Bellen die Gelegenheit auch zu mahnenden Worten. „Am Umgang mit den Schwächsten zeigt sich, was unsere Werte wirklich wert sind.“ Die Furcht vor Sozialabbau, der Wiedereinführung von Studiengebühren und einem weniger toleranten Klima in Österreich treibt draußen 6000 Demonstranten auf die Straße. Außer Eier- und Tomatenwürfen ist der Protest lautstark, aber friedlich.

Dennoch ist die Szenerie nicht ansatzweise vergleichbar mit der Vereidigung des ersten ÖVP-FPÖ-Kabinetts im Jahr 2000. Damals mussten die Minister durch einen unterirdischen Gang in die Hofburg schleichen. Bundespräsident Thomas Klestil, ein FPÖ-Feind, ließ eigens die Fenster offen, damit die Demonstranten nicht ungehört blieben.

Kurz steht nun einem Kabinett vor, das acht Minister und Ministerinnen von der konservativen ÖVP und sechs Ressortverantwortliche von der rechten FPÖ hat. Die ÖVP ist bereits 31 Jahre lang ununterbrochen in der Regierung. Kurz folgt als Bundeskanzler dem Vorsitzenden der SPÖ, Christian Kern. Der ehemalige Chef der Österreichischen Bundesbahnen hatte im Mai 2016 die Regierungsgeschäfte übernommen und muss nun nach nur 580 Tagen abtreten. Als Oppositionsführer will er die Regierung kontrollieren.

Van der Bellen ruft eben diese Regierung auch zu einem achtsamen Sprachgebrauch auf. „Es ist nicht gleichgültig, mit welchen Worten wir in die Öffentlichkeit gehen.“ Die FPÖ hatte immer wieder mit vereinfachenden Parolen Stimmung gegen Ausländer gemacht. Der umstrittene Innenminister Herbert Kickl hat die Formulierung „Daham statt Islam“ geprägt.

Die Reaktionen aus Europa sind eher knapp. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Mittag mit dem neuen Kanzler, übermittelte ihm gute Wünsche zum Amtsantritt und lud Kurz zu einem baldigen Antrittsbesuch nach Berlin ein, wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gratulierte Kurz. „Bayern und Österreich verbindet nicht nur eine gute Nachbarschaft, sondern eine enge Freundschaft und intensive Zusammenarbeit“, sagte er. Das wolle man fortsetzen.

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz zeigte sich besorgt. Es gelte, die Idee von einem menschenfreundlichen Europa zu verteidigen, sagte er. Die Regierung Israels kündigte an, die Zusammenarbeit mit Ministern der FPÖ zu boykottieren. Außerdem prüft das Außenministerium nach eigenen Angaben, wie sich Israel künftig Wien gegenüber verhalten soll. Vorläufig werde man den Kontakt „auf Arbeitsebene“ mit den FPÖ-geführten Ministerien aufrecht erhalten, hieß es. Und weiter: Israel habe „die Verpflichtung, Antisemitismus zu bekämpfen“.

AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland frohlockte dagegen. „Der neue Kurs in der Asylpolitik in Österreich markiert einen Meilenstein in der europäischen Geschichte.“

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