Rom – Viel Zeit hat sie sich nicht gelassen: Kaum einen Tag im Amt ist die neue Regierung in Wien bereits drauf und dran, es sich mit einem der wichtigsten Nachbarn Österreichs zu verscherzen. Schuld daran ist der einseitige Vorstoß der Koalitionspartner ÖVP und FPÖ, niedergelegt in ihrem Koalitionsvertrag, allen deutschstämmigen Südtirolern und ihren Nachfahren die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten. Kostenfrei und zusätzlich zur bestehenden italienischen. Die „doppelte Staatsbürgerschaft“ also.
Laut FPÖ soll das Programm bereits ab 2018 gelten. Doch was sich wie eine großzügige Geste anhört, ist bei genauerem Hinsehen nichts anderes als ein Schuss ins Pulverfass. Zu schwer wiegt der historische Ballast in der heiklen Frage, die nach langwierigen Verhandlungen erst 1972 durch ein umfangreiches Abkommen zwischen Rom und Wien gelöst wurde und als dessen Ergebnis die Südtiroler heute eine weitgehende Autonomie genießen, die als vorbildlich in ganz Europa gilt. Dem Abkommen folgte der Aufstieg Südtirols zu einer der wirtschaftlich stärksten und wohlhabendsten Gegenden Europas. Den Großteil des in der Provinz generierten Steueraufkommens etwa kann die Bozener Landesregierung für sich behalten – eine Situation, von der die Katalanen nur träumen.
Die Reaktionen aus Rom ließen nicht lange auf sich warten. „Mit derartigen einseitigen Schritten befeuert man den ethnischen Separatismus in Europa“, hieß es in einer ersten Stellungnahme aus dem Palazzo Chigi, dem römischen Regierungssitz. Kopfschütteln auch im italienischen Außenministerium. „Eine völlig undurchdachte Aktion“, äußert ein Diplomat. „Das Thema stand überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Von keiner Seite gab es irgendwelche nennenswerten Forderungen nach Veränderung des Status quo. Auch von offizieller Seite aus Südtirol nicht. Warum man ohne Not eine solche Provokation in die Welt setzt, bleibt mir schleierhaft.“
Außenminister Angelino Alfano war sichtlich bemüht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Wien müsse nun erst mal erklären, was damit konkret gemeint sei, ließ er verlauten. Als vorsichtige Kritik an der österreichischen Position lässt sich auch ein Interview des EVP-Fraktionschefs im Europäischen Parlament, Manfred Weber, im Mailänder „Corriere della Sera“ verstehen: „Ich ersuche Österreich und Italien um schnellstmögliche Klärung dieser bilateralen Angelegenheit, die kein europäisches Thema ist. Ich möchte jedoch daran erinnern, dass viele Spaltungen gerade durch den europäischen Einigungsprozess überwunden werden konnten.“ Pass oder Staatsbürgerschaft spielten im Alltagsleben der Europäer eine immer geringere Rolle, so Weber.
Betont zurückhaltend gegenüber der Offerte aus Wien gab sich die Landesregierung in Bozen. Landeshauptmann Arno Kompatscher etwa schrieb in einem Glückwunsch an den neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz: „Ich bin sicher, dass Österreich auch künftig eine Politik verfolgen wird, die zusammenführt, statt zu trennen“.
Eine launige Erklärung für die Pläne aus der Wiener Hofburg hat hingegen der Bozener Olympionike Florian Planker parat. In Wien wolle man damit doch nur die guten Spitzensportler aus Südtirol in die österreichische Nationalmannschaft locken, um den Medaillenspiegel zu verbessern. Ingo-Michael Feth