Die Lage ist besser als die Stimmung

Ein gutes Jahr

von Redaktion

„Die Nachrichten über meinen Tod sind weit übertrieben“, witzelte einst im hohen Alter der Schriftsteller Mark Twain. Und genau so verhielt es sich zum Glück auch mit manch düsterer Prophezeiung für das Jahr 2017. Nein, Donald Trump hat nicht den III. Weltkrieg angezettelt, Marine Le Pen nicht den Elysee-Palast erobert und Horst Seehofer hat nicht Bayerns Loslösung von Merkel-Deutschland verkündet. Genau genommen war das zu Ende gegangene Jahr sogar ein ziemlich gutes. Man muss nur etwas genauer hinsehen und die Journalisten-Krankheit besiegen, sich mit Begeisterung nur auf die schlechten Nachrichten zu stürzen. So sind die Steinzeitmenschen des „Islamischen Staates“ aus Syrien und dem Irak vertrieben, Deutschland blieb von weiteren Terrorschlägen verschont, und die große Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten ist abgeebbt. Sogar der deutsche Rechtsstaat hat sich, wenigstens ein bisschen, auf die Hinterbeine gestellt und konnte zum Jahresende einen Rückgang der Zahl der Einbrüche vermelden. Und vor allem: Noch nie hatten so viele Bürger in Deutschland eine Arbeit. Beschäftigung und das Gefühl, gebraucht zu werden, bleiben bestimmend für das persönliche Wohl der allermeisten Menschen.

Warum aber dominiert bei vielen von uns dennoch das Gefühl, die Welt sei aus den Fugen? Warum grassiert, gerade in den Echokammern des Internets, wo sich Gleichgesinnte zusammenfinden und sich in ihren Sichtweisen gegenseitig bestärken, ein tiefer Kulturpessimismus, der die Erfolge der Vereinfacher von der AfD speist? Leider ist in den vergangenen Jahren zu viel Vertrauen verspielt worden: Es fing an mit der Finanz- und Bankenkrise, die in Wahrheit eine Krise des bürgerlichen Anstands war. Sie ging später nahtlos in die Eurokrise über, die mit all den milliardenschweren Rettungsprogrammen und den Nullzinsen die Gewissheit fortspülte, dass Sparen fürs Alter sich noch lohnt. Das Misstrauen kulminierte schließlich, als offenbar wurde, dass der Staat auch in der Zuwanderungspolitik die Kontrolle verlor. Mögen die Bischöfe auch anderes predigen: Die Übellaunigkeit vieler Bürger rührt auch von dem verbreiteten Grundgefühl, dass sich Deutschland und seine Regierung bei der Flüchtlingshilfe übernommen haben, genauer: dass der Staat lange nicht gut genug aufgepasst hat, wer da neben den vom Tode bedrohten Syrern alles ins Land kam und sich auf das Grundrecht auf Hilfe in Not berief.

Die Gebote von Humanität und Christlichkeit wieder in Einklang zu bringen mit dem in der Integration Leistbaren, bleibt eine Kernaufgabe jeder künftigen Bundesregierung, egal aus welchen Parteien sie sich am Ende zusammensetzt. Und die Politik hat sich ja schon auf den Weg gemacht, auch wenn noch mancher Kompromiss gefunden werden muss. Uns allen stehen noch schwierige Debatten bevor. Wenn wir es schaffen, sie mit mehr Mut und Gelassenheit zu führen und mit weniger Ängsten und Eiferertum, werden wir die Herausforderungen des neuen Jahres leichter meistern. Und wenn sich dann noch ein wenig Glück für jeden Einzelnen hinzugesellt, dann hat 2018 das Zeug, am Ende wieder ein gutes Jahr zu werden.

Georg Anastasiadis

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