Das Abtasten hat begonnen

von Redaktion

Union und SPD starten Koalitionsgespräche – Parteichefs mühen sich, einen Hauch guter Stimmung zu versprühen

Berlin – Martin Schulz empfängt die Besucher persönlich. An der gläsernen Eingangstür der SPD-Zentrale begrüßt der Chef der Sozialdemokraten erst den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) stößt danach dazu. Anschließend kommt die Kanzlerin. „Herzlich willkommen im Willy-Brandt-Haus“, sagt Schulz. „Ist Ihnen ja bekannt, ne?“ Ja, ist ihr bekannt. CDU-Chefin Angela Merkel hat hier schon manche Stunde verbracht. Vor vier Jahren etwa, als beide Seiten die amtierende Große Koalition vereinbarten.

Tag 1 der Sondierungen von Union und SPD, Tag 105 nach der Bundestagswahl – und die Verhandlungsführer mühen sich, Zuversicht zu verbreiten. „Wir alle sind uns der Verantwortung, die wir für die Zukunft Deutschlands und Europas gemeinsam tragen, bewusst“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nach der ersten Runde am Sonntagabend. Man habe konzentrierte und offene Gespräche geführt. Die Situation in Europa und der Welt sowie die Zusammensetzung des Bundestags zeige: „Wir befinden uns in einer neuen Zeit. Und diese neue Zeit braucht eine neue Politik.“

Die Debatte wurde in 15 Arbeitsgruppen aufgenommen, sagt Klingbeil. In manchen sei man weit vorangekommen, in anderen nicht. Mehr zu hören gibt’s nicht – die Partner haben sich anders als bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen Schweigen verordnet, es herrscht Interview-Verbot. Am Ende eines jeden Verhandlungstags soll nur der Generalsekretär der Gastgeberseite ein abgestimmtes Statement verkünden – am Sonntag ist das eben Klingbeil.

Die Ortswahl der ersten Sondierungen hat Symbolisches. Merkel als Verhandlungsführerin überlässt Schulz den Auftritt als Hausherr – und damit die Bilder. Sie zeigen, dass die Kanzlerin mit ihrem Gefolge in die rote Zentrale kommen muss, um sieben Wochen nach den an der FDP gescheiterten Jamaika-Sondierungen vielleicht doch noch ihre vierte stabile Regierung hinzubekommen. Auch die Abschluss-Verhandlungen werden im Willy-Brandt-Haus sein. Offensichtlich will man, dass Schulz und seiner SPD die Verkündung von Erfolg oder Misserfolg obliegt.

Horst Seehofer zeigt sich bei seiner Ankunft in der SPD-Zentrale in bester Stimmung. „Erstens fühlt man sich immer wohl in Berlin, zweitens haben wir jetzt spannende fünf Tage vor uns, und drittens weiß ich, dass wir uns verständigen müssen.“ Was er nicht sagt: Auch seine politische Zukunft hängt vom Erfolg ab. Schmieden CDU, SPD und CSU am Ende wieder eine Koalition, könnte er als CSU-Chef an Merkels Kabinettstisch wechseln – damit er seinem langjährigen Intimfeind Markus Söder die politische Bühne nicht ganz überlassen muss.

Merkel lässt ebenfalls wissen, sie gehe optimistisch in die Gespräche. „Allerdings ist mir klar, dass in den nächsten Tagen auch ein Riesenstück Arbeit vor uns liegt“, sagt sie, während Demonstranten auf der anderen Straßenseite in ihre Trillerpfeifen pusten. CDU-Vize Thomas Strobl wird poetisch und bemüht ein Zitat von Hermann Hesse: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Jedenfalls sind es entscheidende Tage für viele.  dpa

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