Kantenschärfung im Kloster

von Redaktion

Bei ihrer Seeon-Klausur sucht die CSU ihren Kurs irgendwo zwischen Orbán und Klitschko – „Die hätten besser Hebammen eingeladen“

Seeon – Die leisen Zeiten sind vorbei, und die CSU unternimmt alles, damit das jeder merkt. Die Tonalität ist schriller geworden die vergangenen Tage, der Stapel an Positionspapieren zum Jahresbeginn dicker, ja selbst das Logo der Landesgruppe ist auffällig neu gestaltet und in diesem Jahr so oft am Tagungsort in Kloster Seeon plakatiert worden, dass es sofort in den Blick springt.

„Wir müssen die Kanten schärfen für das bürgerlich-konservative Lager, um klar erkennbar zu sein“, sagt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dazu. Seine Vorgängerin Gerda Hasselfeldt war eher für diplomatisch-leise Töne bekannt, bei ihren Auftritten ging es in den Berichten im Anschluss oftmals eher um die Farbe ihrer Schuhe als um ihre Thesen. Dobrindt dagegen haut drauf. Während CSU-Chef Horst Seehofer in Vorausschau auf die Sondierungsverhandlungen in Berlin recht diplomatisch agiert, vertritt Dobrindt die knallharte Linie. Es soll kein Zweifel bestehen: Die Attacken kommen jetzt auch wieder aus Berlin.

Die CSU spielt in Kloster Seeon mit zwei Gesichtern. Einerseits diskutieren die Bundestagsabgeordneten mit Ex-Boxer Vitali Klitschko, der als Ober-Bürgermeister und Politiker in der Ukraine für einen pro-europäischen Kurs kämpft. Andererseits laden sie den ungarischen Ministerpräsidenten und Europa-Kritiker Viktor Orbán ein. Das treibt die Provokations-Skala für den Geschmack vieler CSU-Kritiker weit nach oben.

Dobrindt und Seehofer nennen Orbán beide ihren „Freund“, er selbst bezeichnet sich als „Grenzschutz-Kapitän“ und ruft 2018 zum Jahr „der Wiederherstellung des Volkswillens“ aus. Auch manchem CSUler ist das zuviel, aber intern heißt es, einen Gast dürfe man nicht verprellen. Und: Dialog sei notwendig, sagt Seehofer immer wieder. Nur wer noch miteinander rede, könne auch Missstände ausräumen und Zukunftsfragen beantworten.

Kritische Nachfragen gibt es also maximal außerhalb der Öffentlichkeit. Auch beim Pressestatement im Klosterhof sind keine Fragen erlaubt. Bei Treffen mit Staatsgästen gibt es so eine Regelung immer wieder, aber es hat doch eine Symbolik, wenn Seehofer sagt, Orbán stehe trotz Einschränkungen bei Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn „auf einem rechtsstaatlichen Boden“ und dann nach den Stellungnahmen zwei Schritte auf die Mikros zugeht, winkt und sagt: „Damit ist die Pressekonferenz zu Ende.“

Die Tagungsbilanz der Opposition ist erwartungsgemäß kritisch bis vernichtend. Die Grünen-Landesvorsitzenden sind samt Fraktionsspitze und Jugendverband für einen Besuch nach Kloster Seeon gefahren. Auf einer Wiese, noch durchnässt von dem vielen Regen am Tag zuvor, lassen sie Luftballons in Europa-Farben steigen – ein Gruß über die Klostermauern soll das sein, sagt Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. „Für ein starkes Bayern muss man sich mit europäischen Freunden umgeben.“ Ludwig Hartmann mahnt, Bayern habe genug Probleme, auf die man sich konzentrieren müsse. „Außenpolitik“, sagt der Fraktionschef, „ist für mich in erster Linie Bundespolitik“.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Natascha Kohnen kritisiert Orbáns Einladung. „Er schränkt in Ungarn den Rechtsstaat und die Meinungs- und Pressefreiheit ein. Damit ist er der falsche Berater.“ Bei der CSU-Tagung „stand der Krawall im Vordergrund“, sagt sie unserer Zeitung. „Statt über Themen zu sprechen, die die Menschen in Bayern bewegen.“

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger wird verbal sehr deutlich: „Die CSU betreibt zum Jahresbeginn die übliche Volksverdummung“, sagt er. Statt sich mit „Muskelprotz Klitschko zu präsentieren, hätten sie besser die Vorsitzende des Hebammenverbands eingeladen. Das hätte mehr mit den Problemen der Menschen in Bayern zu tun gehabt.“ Sebastian Dorn

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