Berlin – Andrea Nahles kämpft mit ihrer Stimme. Die SPD-Fraktionschefin ist heiser, als sie am Dienstagmorgen an der bayerischen Landesvertretung in Berlin ankommt. „Es war gestern sehr ärgerlich, dass es Durchstechereien gegeben hat von Zwischenergebnissen“, krächzt sie dann in ein Mikro. Die Union solle den „Jamaika-Modus“ nun gefälligst abstellen.
Union und SPD hatten sich vorgenommen, dass alles anders sein sollte als bei Jamaika: keine Durchstechereien, kein Twittern, keine Veröffentlichung von Zwischenständen, keine Interviews. Am ersten Tag hielt die Disziplin, am zweiten war es vorbei mit den Vorsätzen. Zuerst schimpfte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor laufender Kamera, die „Grundtonalität“ bei den Sondierungen sei falsch, es werde zu viel übers Geldverteilen geredet. Streitereien über die Finanzen drangen nach außen.
Vor allem gelangte das erste Arbeitspapier an die Öffentlichkeit – die Ergebnisse der Klima-Arbeitsgruppe. Der Begleit-Tenor: Union und SPD verabschieden sich von den Klimazielen 2020. Am Abend verkündete Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), man habe das Thema Energiepolitik ruckzuck abgeschlossen.
Laschet kommt aus einem Kohle-Land. Die Botschaft, dass sich der Komplettumbau zu erneuerbaren Energien länger hinziehen soll, ist dort willkommen. Die NRW-SPD tickt da nicht viel anders. Aber die Bundes-SPD will nicht als Klima-Bremser dastehen.
Die NRW-SPD, der größte Landesverband der Partei, ist wichtig für die Frage, ob das Projekt von Union und SPD in Berlin zustande kommt. SPD-Chef Martin Schulz muss, falls sich beide Seiten einig werden, einen Parteitag von einer neuen GroKo überzeugen. Ein großer Teil der Genossen wird aus NRW kommen. Ihre GroKo-Skepsis ist groß.
GroKo-Gegner, auch aus NRW, wettern schon, der Abschied von den Klimazielen sei Grund genug, Schwarz-Rot nicht zu machen. Andere NRW-Genossen klagen über schlechten Stil. Der Chef der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Norbert Römer, schimpft, Laschet halte sich nicht an Absprachen und sei „’ne Plaudertasche“. Sein Verhalten bestätige das tiefe Misstrauen der NRW-SPD gegen die Union. „Das Wort der CDU ist einfach nicht viel wert.“ Für die Gemütslage bei den Sondierungen kommt die Indiskretion ungelegen.
Auch in der Sache ist das Klima-Thema verzwickt. An der Kohle-Industrie hängen viele Arbeitsplätze. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt zwischen den Stühlen – und bekommt ein Glaubwürdigkeits-Problem. Ihr Bekenntnis zum 2020-Ziel im Wahlkampf („Das verspreche ich Ihnen“) fliegt ihr nun um die Ohren. Die positiven Aspekte des Klimapapiers – geplant sind ein Klimaschutzgesetz, die Festsetzung eines Datums für den Kohleausstieg bis Ende 2018 und der starke Ausbau erneuerbarer Energien – gehen dabei unter.
Andere Streitpunkte, die gestern verhandelt wurden, kommen hinzu: bei der Bürgerversicherung, die die SPD unbedingt, die Union auf keinen Fall will; und bei der Steuerpolitik, in der die SPD eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent fordert, was die CSU nicht will.
Zwar gab es gestern neue Durchstechereien – aber immerhin mit positivem Inhalt. Die Sondierer streben im Falle einer neuen GroKo offenbar ein Gesetz für Fachkräfte-Zuwanderung an, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf ein Papier der Fachgruppe „Wirtschaft, Verkehr, Digitalisierung“ berichtet. Danach soll auch der flächendeckende Ausbau des schnellen Datennetzes bis 2025 erreicht werden.
„Nix ist fix“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gestern Abend, bisher gebe es nur Zwischenergebnisse. Man sei dabei, finanzielle Spielräume auszuloten. Trotz der Stil-Diskussionen bescheinigte er den Unterhändlern eine gute Vertrauensgrundlage. „An dem soll es nicht scheitern.“