Bad Staffelstein – Wenn Bayerns Ministerpräsidenten Wichtiges zu verkünden haben, oder das zumindest glauben, tragen sie ihre Rede immer in blauen Mappen mit teuer aufgeprägtem goldenen Staatswappen ans Pult. Das soll recht feierlich aussehen. Für Markus Söder reicht es vorerst nur zu einem blauen Plastikumschlag, etwas verknittert. Statt perfekt ausgedruckten, von 15 Referenten ausgefeilten Manuskripten bündelt seine Mappe auch nur eine Sammlung loser Zettel, wild bekritzelt mit blauer und grüner Tinte. Die haben es allerdings in sich.
Keine Minute lässt Söder die Mappe bei der CSU-Fraktionsklausur aus den Augen. Man kann ihn sogar auf der Toilette des Klosters damit antreffen. Über Wochen hat er am Inhalt des Umschlags gearbeitet, gestrichen, ergänzt – und nur wenigen Wegbegleitern Einblick gegeben. Am Donnerstagvormittag legt er die Mappe endlich aufs Pult, öffnet sie und verliest, was er an Plänen für Bayern hat.
Einen Zehn-Punkte-Plan für die ersten Monate im Amt entwirft der designierte Ministerpräsident. Der Inhalt überrascht. Söder legt nur in Teilen die erwartete Härte an den Tag. In der Flüchtlingspolitik vor allem, dort will er ein „Landesamt für Asyl und Abschiebung“ gründen. Man darf das als Eingeständnis verstehen, wie mittelmäßig der Freistaat bei den Rückführungen dasteht. „Wir haben gewisse Effizienzverluste in Bayern“, sagt er. Söder steuert bei der Versorgung von Asylbewerbern auf vollständige Sachleistungen statt Geld zu. In einer Organisationsreform will er die „Bayerische Grenzpolizei“ wieder einführen, die etwa die Schleierfahndung übernehmen soll – oder immer da ist, wo der eigentlich zuständige Bund gerade nicht an der Grenze aufpasst. Die Polizeiinspektionen in der Fläche will er mit 1000 neuen Stellen aufstocken.
Weniger erwartbar sind Söders Vorstöße in der Sozialpolitik: eine Verdoppelung der bisher nur 186 Hospizplätze, Landeszuschuss für pflegende Angehörige, Ausbau der Kinderbetreuung (keine Kostenfreiheit) und eine Offensive, um mehr Betreuer anzulocken. In der Wohnungspolitik setzt er, der noch als Finanzminister den Verkauf der GBW-Wohnungen zu vertreten hatte, auf eine 180-Grad-Wende: Söder gründet ein bayerisches Staatsunternehmen, um günstige Wohnungen zu bauen. Nach dem Fiasko der CSU mit den Fehlinvestitionen der staatlich kontrollierten LWS in den 90ern wollte man in der Staatsregierung lange von so was nichts mehr wissen. Ergänzt wird die Offensive durch ein Baukindergeld (1200 Euro pro Kind, zehn Jahre lang) und eine bayerische Eigenheimzulage. Insgesamt wird all das wohl locker eine Milliarde kosten, Söder verweist da nur kokett auf Bayerns Rücklage.
Der Noch-Finanzminister scheut erkennbar weder Kopien noch Kurskorrekturen. Zur Erinnerung: Die Wohnungsgesellschaft, ein SPD-Antrag, war von der CSU im Landtag noch im Oktober abgelehnt worden. Dass Söder nun noch heuer 50 neue Verwaltungsrichter einstellt, forderten die Freien Wähler über Monate vergeblich. Seine Amtszeit auf zehn Jahre zu begrenzen, ist ein Konzept, das neulich ein FDP-Politiker vorgelegt hatte. Einen schnellen Glyphosat-Ausstieg in Bayern, per Sonderweg eiliger als der Bund, hatten die Grünen verlangt. Auch für diese Ideen jubeln ihm die CSU-Abgeordneten bei der Klausur stehend minutenlang zu.
Wer nicht mitjubelt, ist der Vorgänger: Horst Seehofer bleibt Banz an diesem Tag komplett fern – als wäre er nicht amtierender Ministerpräsident und Landtagsabgeordneter. Manches aus Söders Konzept dürfte ihm nicht gefallen. Unter anderem wird die neue Regierung wohl Seehofers Herzensanliegen, einen dritten Nationalpark zu schaffen, kühl aufgeben.
Auch was Söder in seiner internen Rede den Abgeordneten mit auf den Weg gibt und was eilig den Weg durch die dicken Klosterwände findet, kann als Abgrenzung zu Seehofer verstanden werden. „Wir müssen langfristig, verlässlich und seriös arbeiten, keine Schnellschüsse“, wird er zitiert. Die CSU müsse ihre „Sensorik extrem erhöhen“.
Seehofer hört sich all das nicht an, er hat irgendeinen Termin in München. Seine Fraktion in Banz tut mühsam so, als wäre das normal. Die anderen 100 CSU-Abgeordneten warten erkennbar darauf, dass Seehofer im März seinen Rücktritt verkündet. Termin unklar, aber die Rede kommt sicher in einer blauen Mappe mit Staatswappen.