Berlin – Der bisher schwerste islamistische Anschlag in Deutschland ist 13 Monate her. Am 19. Dezember 2016 raste der Tunesier Anis Amri mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Er tötete zwölf Menschen, mehr als 60 wurden verletzt. Bis heute sind viele Fragen offen. Die wichtigste: Wieso konnte der Attentäter nicht gestoppt werden, obwohl er der Polizei schon länger als potenzieller Islamist bekannt war?
Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages will sich nun mit Pannen und Versäumnissen in dem Fall befassen. Heute soll das Gremium eingesetzt werden, Anfang Februar nehmen voraussichtlich neun Mitglieder die Arbeit auf. Der Fall Amri hat schon Untersuchungsausschüsse in Berlin und Nordrhein-Westfalen beschäftigt, sowie eine Taskforce des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages.
Alle Parteien sind sich einig, dass es noch genug Arbeit für einen Ausschuss im Bund gibt. „Mit der Bündelung aller Erkenntnisse besteht die Chance, dass aus der schier endlosen Liste von Pannen am Ende auch konkrete Ergebnisse folgen“, sagt SPD-Innenexpertin Eva Högl. Union und SPD haben einen gemeinsamen Antrag für den Ausschuss aufgesetzt. Sie erhoffen sich unter anderem Lehren für das Asylrecht.
Alle Fraktionen wollen die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene prüfen. „Wir haben zu untersuchen, ob unsere föderale Sicherheitsarchitektur in der Lage ist, Täter wie Amri, die über Landesgrenzen hinweg aktiv sind, erfolgreich zu bekämpfen“, sagt Armin Schuster, CDU-Innenexperte. Mindestens 50 Behörden waren mit Amri befasst, der mit 14 verschiedenen Identitäten durch die Republik reiste. Schon im Oktober 2015 wurde er aktenkundig. Sein Name beschäftigte mehrfach das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum.
Auch die Rolle des Geheimdienstes und des Verfassungsschutzes soll untersucht werden. So gab es einen V-Mann namens „Murat“, der früh vor Amris Anschlagsbereitschaft warnte. Die Grünen wollen zudem Verbindungen zu ausländischen Nachrichtendiensten klären. So spekulierte Grünen-Geheimdienstexperte Hans-Christian Ströbele, der inzwischen nicht mehr im Bundestag sitzt, über eine „ordnende Hand“ des US-Geheimdienstes, der durch Amri an Hintermänner in Libyen gelangen wollte.
Die Grünen hatten den Ausschuss schon im Frühjahr gefordert. Die Große Koalition lehnte den Vorschlag ab. Nicht zuletzt der offene Brief der Opferangehörigen habe zu einem Umdenken beigetragen, mutmaßt Irene Mihalic, Grünen-Innenexpertin. Uneinigkeit herrscht, welchem Zeitraum sich der Ausschuss widmen soll. Grüne und FDP wollen den Umgang mit dem Fall bis heute untersuchen, CDU und SPD nur bis zum Tod Amris. Das sei zu kurz gegriffen, so Mihalic: „Die Aufklärung steht im Vordergrund, nicht Regierungs- oder Behördenschutz.“ aglaja adam