Zumindest das Timing stimmt: Nach dem Teil-Ja der SPD zur Neubildung der GroKo in Berlin lebt am deutsch-französischen Feiertag die Hoffnung, dass das Tandem bald wieder seine Rolle einnehmen und Europa auf den Reformweg bringen kann. Steht die deutsche Regierung bis Ostern, bleibt ein gutes Jahr Zeit, die Weichenstellungen so vorzunehmen, dass die Bürger vor den Europawahlen 2019 erkennen können, wohin die Reise gehen soll. Dabei gilt auch 55 Jahre nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrags: Berlin und Paris sind nicht alles, aber ohne beide geht in der EU nichts.
Die aktuelle Lage könnte widersprüchlicher kaum sein. Angesichts der bedrohlichen globalen Entwicklungen ist die Zustimmung der EU-Bürger zu dem Projekt Europa so groß wie lange nicht, Macrons Wahlsieg in Frankreich ist dafür nur ein Beleg. Gleichzeitig zeigt der Staatenverbund aber auch Zerfallserscheinungen wie nie: äußere, wie den Brexit, sowie innere, wie den offenen Dissenz bei der solidarischen Bewältigung der Flüchtlingskrise oder die fehlende Respektierung europäischer Institutionen. Wie der Brüsseler Club seinem eigenen Recht wieder Geltung verschafft, ohne nationalistischen Regierungen in Ost- und Südosteuropa einen Vorwand zu liefern, auf Exit-Kurs zu gehen, ist eine der spannenden Fragen. EU-Außengrenzsicherung gegen illegale Migration, der Kampf gegen den islamistischen Terror sowie die Absicherung der Eurozone sind weitere Kernbaustellen. Von Merkels und Macrons Talent zur kompromissfähigen Neujustierung hängt Europas Schicksal ab.
Alexander Weber
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