Berlin – Blass sieht Martin Schulz aus, als er am Sonntagmorgen vor dem Verhandlungsfinale mit CDU und CSU über eine Große Koalition im Willy-Brandt-Haus vor das Mikrofon tritt. Fast verloren wirkt er, etwas sinnbildlich für die schwierige Lage des SPD-Chefs, dessen Macht bedenklich erodiert. Er setzt eine kleine Spitze gegen CSU-Chef Horst Seehofer, der deutlich gemacht hat, dass er gedenke, mit dem Zug um 16:05 Uhr nach München zu fahren. Das war zwar als Sinnbild gemeint – Seehofer fährt fast immer Auto. Doch Schulz setzt dagegen, man dürfe nicht wegen „der ein oder anderen Uhrzeit“ Druck aufbauen. Und so ist bald klar, dass Seehofers Frist gerissen wird. Auch am heutigen Montag geht das Tauziehen weiter. Und selbst wenn am Ende ein Koalitionsvertrag stehen sollte, wohin der Koalitionszug steuern soll, ist irgendwie unklar.
Druck von allen Seiten hat Schulz auch so schon genug. Es ist wieder diese seltsame Zeit bei der SPD, wo führende Genossen hinter vorgehaltener Hand dem Parteichef attestieren, er könne es nicht. So wird energisch versucht, Schulz davon zu überzeugen, auf den Posten des Außenministers und Vizekanzlers zu verzichten – und sich auf das Amt des Parteichefs zu konzentrieren. Das wäre aber wohl der Anfang vom Ende. Daher lautet die spannende Frage: Wird er sich nach Abschluss der Verhandlungen erklären und sagen, ob er ins Kabinett geht oder nicht?
Um seine Macht zu sichern, müsste Schulz das eigentlich. Viel wird darauf ankommen, was er herausholt, auch bei den Ministerien. Intern werden sechs Ressorts gefordert – darunter am besten Außen, Finanzen plus Arbeit und Soziales. Doch alle drei Ressorts auf einmal, das dürfte die Union kaum mitmachen. Da Schulz wackelt und die über 440 000 SPD-Mitglieder ohnehin noch drei oder vier Wochen lang über den Koalitionsvertrag abstimmen müssen, steht die geplante dritte Große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel weiter auf tönernen Füßen. Und das in politisch hoch aufgeladenen Zeiten in Deutschland, Europa und der Welt. Auch deswegen ist es der CDU-Vorsitzenden so wichtig, dass möglichst Mitte März eine neue Regierung steht. Solange sind ihr die Hände gebunden.
Merkel, Schulz, Seehofer – das angeschlagene Spitzentrio muss fast verzweifelt versuchen, einen Aufbruch zu demonstrieren, den ihm viele Menschen nicht mehr zutrauen. Symbolisieren sollen ihn vor allem sozialpolitische Maßnahmen. Das ist angesichts der Stimmung im Land mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten von der AfD allen Seiten recht.
Verbesserungen für Rentner und bei der Pflege sollen kommen. Und zwei Milliarden Euro für sozialen Wohnungsbau plus Finanzspritzen für Familien, um ein Eigenheim zu bauen sowie Investitionsanreize für Bauherrn. Ein schärferes Mietrecht soll gegen die Preisexplosion in den Großstädten helfen. Zum großen Thema soll eine milliardenschwere Bildungs- und Digitaloffensive werden (siehe Beitrag unten). Dass die AfD wie ein Schatten am Tisch sitzt, zeigt das zähe, andere Themen in den Hintergrund verdrängende Ringen um eine Begrenzung des Flüchtlingszuzugs.
Natürlich werden beide Seiten jeweils versuchen, das Erreichte bei ihrer Anhängerschaft als größtmöglichen Erfolg zu verkaufen. Das gilt gerade auch für die CSU: Von dem Tag an, an dem die Koalition endgültig unter Dach und Fach ist, zählt für sie nur noch ein Datum: der 14. Oktober. Dann soll der nächste Landtag in Bayern gewählt werden. Die nächsten Konflikte sind also programmiert, es wäre so oder so eine fragile Koalition.