SPD

Gezeter bei den Siegern

von Redaktion

von Mike Schier

München – Die Szene ist nur ein paar Wochen alt. Die SPD hatte erst die Wahl verloren und den Gang in die Opposition angekündigt. Dann war Jamaika gescheitert und die Genossen rangen sich dazu durch, eben doch mit der Union über eine Koalition zu sprechen. Da wurde Martin Schulz in einer Pressekonferenz gefragt, ob er ein Ministeramt in einer GroKo für sich ausschließen könne. Schulz stand nur ein paar Meter neben der großen Willy-Brandt-Statue in der Parteizentrale, als er im Brustton der Überzeugung mit „Ja“ antwortete. Und noch nachschob: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“

Ein paar Wochen später ist auch diese Szene Geschichte. Schon wieder ist alles ganz anders in dieser seltsamen Partei, deren Stimmungsumschwünge immer schneller vonstatten gehen. Die SPD ist ja schon länger ein recht vielstimmiger Haufen. Aber so gespalten wie gestern Morgen war die Stimmungslage schon lange nicht mehr. Mit den inhaltlichen Ergebnissen des Koalitionsvertrags können die meisten leben. Über die Ministerien, die der Verhandlungsführer Schulz der Kanzlerin in den frühen Morgenstunden abrang, sind viele sogar begeistert. Einer nach dem anderen der übernächtigten Verhandler kommt frisch geduscht zurück ins Konrad-Adenauer-Haus. Ein „ausgezeichnetes Ergebnis“ jubelt Generalsekretär Hubertus Heil. „Der Koalitionsvertrag trägt eine klare sozialdemokratische Handschrift“, sagt die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen. Und Bundes-Vize Malu Dreyer, die im knallroten Hosenanzug erscheint, wirkt geradezu aufgekratzt. „Zufrieden“ sagt sie immer wieder.

Das ist die eine Seite. Aber das eben jener Martin Schulz nun nach dem Auswärtigen Amt greifen möchte, will vielen nicht in den Kopf. Da hilft es auch wenig, dass der gescheiterte Kanzlerkandidat exakt zwei Monate nach seiner Wiederwahl mit 82 Prozent sein Amt als Vorsitzender zur Verfügung stellen will. „Ich kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen“, sagt der Münchner Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. Er ist nicht allein.

Es ist ein Tag, an dem die SPD feiern könnte. Die Online-Ausgaben von „Welt“ und „FAZ“, sonst eher der Hofberichterstattung unverdächtig, überschlagen sich in euphorischen Kommentaren. „Durchmarsch der SPD“, heißt es da. Oder: „Machtpolitische Meisterleistung des Martin Schulz“. In der CDU knirschen sie mit den Zähnen, weil entscheidende Ministerien an die Genossen gehen. Finanzressort, Auswärtiges Amt, Arbeit und Soziales – letztmals kamen die Sozialdemokraten 2005 mit einer solchen Ausbeute aus den Koalitionsverhandlungen. Es war ein Abschiedsgeschenk von Gerhard Schröder, der sich nach den Verhandlungen zurückzog. Zuvor hatte er seiner Partei in einem furiosen Schlussspurt 34,2 Prozent beschert. Diesmal waren es noch 20,5.

Aber die SPD wäre nicht die SPD, wenn sie einen solchen Erfolg einfach genießen könnte. Das Ergebnis ist kaum bekannt, die politischen Kommentatoren sind noch nicht mit dem Staunen fertig – da macht die Meldung die Runde, Schulz und Nahles hätten sich hinter den Kulissen auf eine Machtübergabe geeinigt. So wie einst Sigmar Gabriel seinen Freund Schulz via Interview zum Vorsitzenden erklärte, so gibt nun Schulz sein Amt an die Fraktionschefin weiter. Keiner hat etwas geahnt. Das Land staunt, und Schulz schweigt. Nachmittags tritt er mit Angela Merkel und Horst Seehofer vor die Presse – will aber nichts zur eigenen Zukunft sagen. Erst die Parteigremien, dann das Volk.

Und so melden sich, noch ehe das erste Gremium getagt hat, die Kritiker zu Wort. Der Bundestagsabgeordnete Florian Post ärgert sich maßlos darüber, dass sich nun einige ihre „Traumjobs“ sichern. Schulz habe immer erklärt, er strebe kein Amt in der Regierung an, jetzt dränge er den „den derzeit beliebtesten und kompetentesten Sozialdemokraten“, Sigmar Gabriel, aus dem Amt. „So brauchen wir unsere Mitglieder gar nicht abstimmen lassen. Apparatschik-Tum hoch fünf.“ Auch der ehemalige Münchner OB Christian Ude rügt Schulz dafür, „der Partei völlig ohne Not ein weiteres, zusätzliches Glaubwürdigkeits-Problem aufzuhalsen“. Und Juso-Chef Kevin Kühnert meldet sich via Twitter: „NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird.“ Er sei „fassungslos“.

So gerät die Debatte in der SPD im Laufe des Tages schon wieder auf die schiefe Bahn. Statt zu feiern wird gefrustet. Als am Abend, nach überstandener Vorstandssitzung Schulz und Nahles vor die Presse treten, wirken sie abgekämpft. Klar, es liegen schlaflose Nächte hinter ihnen. Aber erfolgreiche Nächte. Doch keiner will hören, was Schulz über den Koalitionsvertrag zu erzählen hat. Alle wollen wissen, wie es weiter geht.

Seine Erklärung läuft dann etwas aus dem Ruder. Die Kurzfassung: Er könne der Partei nicht mehr geben, was sie jetzt brauche. Koordination. Schon nach dem Parteitag im Dezember sei er auf Nahles zugegangen und habe sie in seine Pläne eingeweiht. Von Klüngel oder Sturzgeburt will er nichts wissen. Wenn man eine solche Entscheidung treffe, sei der normale Vorgang eben nicht der, das auf die Tagesordnung des nächsten Parteivorstands zu setzen. „Sondern man spricht erst mal mit den Leuten.“ Nahles habe überlegt – und dann zugesagt.

Dann folgen Szenen, die sich wohl auch in der nächsten Folge der „heute-show“ wiederfinden. Schulz wird gebeten, Nahles zu charakterisieren. Sie sei „Hammer und Amboss zugleich“, lautet die seltsame Antwort. Sie könne zuschlagen, aber auch auffangen. Dann wird Nahles gefragt, was sie besser könne als Schulz. Ihre Antwort: „Stricken.“ Nun ja, alle Beteiligten haben wenig geschlafen – und am Abend auch noch eine Fraktionssitzung zu überstehen.

Ihre Abgeordneten hatte Nahles zuletzt gut im Griff, ihr Standing ist ausgezeichnet. Nur was heißt das schon in der SPD? Vor einem Jahr wurde Schulz mit 100 Prozent gewählt, Gabriel war weit vom beliebtesten Politiker entfernt – und beide galten als Freunde. All das ist Geschichte. Das sieht man in dem Moment, in dem Schulz bei der Pressekonferenz nach Gabriel gefragt wird. Kühler kann man einem Politiker zum Abschied kaum danken.

Dafür erlebt ein anderer an diesem Tag ein erstaunliches Comeback: Olaf Scholz. In den Verhandlungen, so heißt es, habe der Hamburger Bürgermeister einen extrem coolen Eindruck hinterlassen. Jetzt wird er Vize-Kanzler, Finanzminister und neben Nahles der starke Mann in der SPD. Beim Parteitag hatte ihm die Basis noch mit 59 Prozent eine Ohrfeige verpasst. Auf den Tag zwei Monate vor diesem erstaunlichen Mittwoch. In der SPD ist das eine Ewigkeit.

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