Syrien-Krieg: Eskalation an zwei Fronten

von Redaktion

Syrische Regierungstruppen kämpfen gegen türkische Armee – Erdogan will Afrin belagern – Seit Sonntag mindestens 231 Zivilisten getötet

Damaskus – Syriens fast siebenjähriger Bürgerkrieg ist innerhalb nur weniger Stunden an zwei Fronten eskaliert. Im Norden des Landes bombardierte die türkische Armee die Region Afrin, nachdem dort syrische Regierungskräfte zur Unterstützung kurdischer Truppen eingerückt waren. Im Zentrum Syriens erlebte das Rebellengebiet Ost-Ghuta eine Angriffswelle mit gut 200 Toten in knapp 48 Stunden.

In Afrin wächst nun die Sorge vor einer größeren Eskalation zwischen der Türkei und Syrien. Am Dienstag rückten dort zunächst syrische Regierungskräfte ein, wie die Kurdenmiliz YPG bestätigte. Diese sollten sich an der Verteidigung der Einheit Syriens und der Grenzen beteiligen. Im regierungstreuen Sender Al-Mayadeen waren Fahrzeuge mit dutzenden Kämpfern zu sehen. Nach syrischen Angaben handelt es sich dabei um „Volkskräfte“.

Türkische Truppen und syrische Verbündete hatten vor einem Monat eine Offensive auf Afrin begonnen. Das Gebiet wird von der YPG kontrolliert. Die Türkei sieht in der Miliz den syrischen Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie. Die YPG ist zugleich mit der US-geführten Koalition im Kampf gegen die IS-Terrormiliz in Syrien verbündet.

Im Sender Al-Mayadeen war eine Explosion zu sehen, kurz nachdem die syrischen Regierungskräfte in Afrin eingerückt waren. Es habe sich um einen türkischen Angriff gehandelt, hieß es. Die Kurden erklärten, fünf Bomben seien in der Nähe des Gebiets eingeschlagen, das die Regierungskräfte passiert hätten.

Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete Artilleriebeschuss in der Region. Warnschüsse seien auf mit dem syrischen Regime verbundene „terroristische Gruppen“ abgefeuert worden, hieß es. Diese hätten versucht, in die Stadt Afrin zu gelangen, sich aber zurückgezogen. Syrische Militärkreise wiesen das zurück. Die Truppen hätten in Afrin wie geplant ihre Positionen bezogen.

Die Türkei steht im Syrien-Konflikt auf der Seite der Rebellen, die gegen die syrische Regierung kämpfen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Syriens Präsidenten Baschar al-Assad im Januar als Mörder bezeichnet. Die Türkei kooperiert aber auch mit Syriens Verbündeten Russland und Iran. Erdogan kündigte gestern eine Belagerung der Stadt Afrin „in den nächsten Tagen“ an. „Auf diese Weise wird die Hilfe von außen blockiert“, erklärte er. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte die Türkei auf, mit der syrischen Regierung in Dialog zu treten.

Im Zentrum Syriens kamen bei Angriffen auf das Rebellengebiet Ost-Ghuta nahe Damaskus in weniger als 48 Stunden mindestens 231 Zivilisten um, darunter dutzende Frauen und Kinder, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete. Gut 1000 Menschen seien verletzt worden, viele schwer. An den Angriffen seien wahrscheinlich auch russische Flugzeuge beteiligt gewesen.

„Es war die Hölle“, sagte ein Arzt aus einem Krankenhaus in Ost-Ghuta über die Angriffe am Montag. „Wir mussten mit ansehen, wie Kinder in unseren Händen an ihren schweren Wunden gestorben sind, weil sie zu spät ins Krankenhaus kamen.“ Die Kliniken seien völlig überfüllt. Narkosemittel und wichtige Medikamente gingen zu Ende. Berichten zufolge wurden in dem Gebiet sogar sechs Kliniken bombardiert.

Ost-Ghuta ist seit Monaten von Regierungstruppen eingeschlossen. 400 000 Menschen sind dort fast ganz von der Außenwelt abgeschnitten: Über Wochen durften keine Hilfslieferungen in das Gebiet. Der regionale UN-Nothilfekoordinator Panos Moumtzis sagte: „Die humanitäre Lage der Zivilisten in Ost-Ghuta ist dabei, außer Kontrolle zu geraten.“ Jan Kuhlmann

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