Damaskus – Als die syrischen Regierungskämpfer in die Kurden-Region Afrin einrücken, jubeln sie wie bei einem Autokorso. Auf den Ladeflächen von Pick-ups strecken die Männer ihre Arme in die Höhe. Immer wieder stimmen sie den Chor an: „Eins, eins, Syrien ist eins.“ Ein Kämpfer droht vor der Kamera: „Wir bleiben in Afrin, bis wir den türkisch-osmanischen Besatzer vertreiben.“
Afrin im Nordwesten Syriens: Seit einem Monat steht die von Kurden kontrollierte Region im Fokus des blutigen Konflikts. Im Januar rückten türkische Truppen auf das Gebiet vor, um dort die Kurdenmiliz YPG zu bekämpfen. Zusammen mit verbündeten syrischen Rebellen gelang es, Gebiete an der Grenze zur Türkei einzunehmen. In ihrer Not schloss die YPG nun einen Pakt mit Syriens Regierung. Diese schickte Milizen zur Unterstützung. Die türkische Armee antwortete mit Beschuss.
Es wächst die Sorge, dass es erstmals zu einer größeren Eskalation zwischen der Türkei und syrischen Regierungstruppen kommen könnte. Die Mächtigen in Ankara und Damaskus sind sich spinnefeind, nicht zuletzt weil die Türkei Rebellen unterstützt – bislang gab es aber kaum direkte Zusammenstöße. Eine Lösung ist nicht zu erkennen, weil es viele Konfliktparteien gibt.
-Die Kurden: Sie sind je nach Lage mit unterschiedlichen Parteien verbündet, die sich teilweise bekämpfen. Im Zuge des fast siebenjährigen Bürgerkriegs gelang es den YPG genannten kurdischen „Volksschutzeinheiten“, im Norden Syriens riesige Gebiete einzunehmen. Die Kurden errichteten drei Kantone, in denen sie eine „Selbstverwaltung“ ausriefen. Das Verhältnis mit der Regierung Syriens ist voller Konflikte. Schon unter Ex-Präsident Hafis al-Assad beklagten sich die Kurden über Diskriminierung. Viele von ihnen besaßen lange keine Staatsbürgerschaft.
In Afrin kooperieren die Kurden dennoch mit der Regierung – anderswo bekämpfen sie sich, zum Beispiel im Osten des Landes. Denn gleichzeitig entwickelte sich die YPG zum wichtigsten Partner der US-geführten Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Das führt zu einer bizarren Konstellation: In Afrin paktieren die Kurden mit der Regierung, die wiederum mit dem kurdischen Verbündeten USA verfeindet ist.
-Die Türkei: In Afrin verfolgt Ankara mit der „Operation Olivenzweig“ das Ziel, „Nordsyrien von allen terroristischen Elementen zu säubern“. Die Offensive richtet sich vor allem gegen die YPG, den Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Dass die USA die YPG unterstützen, hat zu einer schweren Krise zwischen den Nato-Partnern Ankara und Washington geführt.
-Syriens Regierung: Regierungsanhänger haben die größten Teile des Landes wieder eingenommen. Zu verdanken hat Präsident Baschar al-Assad das vor allem Russland und Iran. Der Einsatz in Afrin gibt der Führung in Damaskus die Chance, ihren Einfluss auszudehnen. Allerdings entsandte sie keine Truppen der Armee, sondern paramilitärische „Volkskräfte“. Möglicherweise stehen die in Verbindung zum schiitischen Iran. So finanziert Teheran Milizen, etwa die libanesische Hisbollah.
-Rebellen: Sie sind sowohl mit der Regierung als auch den Kurden verfeindet. In Afrin kämpfen Rebellenmilizen an der Seite der Türkei. Allerdings sind sie ins Hintertreffen geraten und kontrollieren nur wenige Gebiete wie die Provinz Idlib oder das bombardierte Gebiet Ost-Ghuta (siehe Kasten).
-Russland: Die Position ist nicht eindeutig. Moskau ist ein wichtiger Verbündeter der syrischen Regierung, tritt aber mit dem Iran und der Türkei als Schirmherr von Verhandlungen auf. Zudem kooperierten die Russen mit den Kurden. Warum Moskau den Angriff der Türkei auf Afrin zugestimmt hat, ist Spekulation. Russland will den Konflikt beruhigen, um den kostspieligen eigenen Truppeneinsatz zurückfahren zu können.