Noch ist die Kanzlerin nur geschäftsführend im Amt. Aber wenigstens den osteuropäischen Ländern schwant seit Merkels Regierungserklärung vom Donnerstag, dass die neue deutsche Regierungschefin, wenn sie erst wiedergewählt ist, ganz die alte bleiben wird. Kunstvoll hat die Kanzlerin die erschütternden Bilder vom Morden und Sterben in Syrien mit dem durch den Brexit neu aufflammenden Streit ums Geld in Europa verwoben. Die Botschaft, die dabei herauskommt, ist aber ganz und gar nicht kunstvoll verbrämt: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, dem wird der Geldhahn zugedreht.
Solidarität dürfe keine Einbahnstraße sein. Mit diesem Postulat punktet die Kanzlerin in der deutschen Öffentlichkeit, wo viele die Hartherzigkeit der Osteuropäer nicht verstehen. Klug ist es dennoch nicht, in ohnehin angespannter Lage den fruchtlosen Streit um die Flüchtlinge neu zu entfachen. Damit vertieft Berlin die von ihm selbst mitverursachte Spaltung Europas und spielt den Autokraten in Warschau und Budapest in die Hände. Denen kommt das Feindbild Deutschland gerade recht. Asyl, Migration und Multikulturalismus lassen sich nicht europäisch verordnen, weder aus Berlin noch aus Brüssel. Wer seinem Herzen folgen mag, soll das tun – aber er kann nicht andere, weniger wohlhabende Länder zwingen, ebenso zu handeln. Wer es versucht, riskiert nicht nur den Vorwurf der Rechthaberei. Er vergiftet das ohnehin schwierige Miteinander in einer Union unterschiedlicher Weltanschauungen und humanitärer Traditionen.
Im übrigen ist es etwas billig, jetzt nur die lärmenden Visegrad-Staaten an den Pranger zu stellen. Mucksmäuschenstill, aber kaum weniger reserviert sind viele westeuropäischen Länder, wenn es um die Verteilung Asylsuchender geht. Der auch hierzulande gern zur Lichtgestalt verklärte Emmanuel Macron hat gerade das Asylrecht seines Landes massiv verschärft. Mehr deutsches Geld für Europa, das die neue GroKo bereits spendabel in Aussicht gestellt hat, hätte auch er gern – aber doch lieber für Euro-Rettungstöpfe und französische Landwirte als für Flüchtlinge.
Georg Anastasiadis
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